Fifty Shades of Statistic
Aus der Serie «Sprachperlen»
(stu) Schon vor mehr als einem guten Jahrhundert, aber spätestens als Henri Ford das Fliessband, diese ebenso produktive wie menschlich grausame Frühform des industriellen Roboters, zwecks Steigerung der Stückzahl und zugunsten eines erschwinglich tiefen Stückpreises in der Automobilproduktion einzusetzen wusste, kam die bange Frage auf, die wir uns – leidensfähig und zweckscheinheilig wie der HOMO AUTOMOBILIS nun einmal von Anfang an war – auch heute noch stellen: wohin soll dies noch führen?
Wie viel Automobil mit Ausstoss von Abgasen und exponentiell ansteigendem Konsum von Ressourcen kann sich das Raumschiff Erde, dieses immer wieder als voll gewähnte Boot, denn noch leisten? Wie kann ein markt- und finanzliberales Gemeinwesen, der moderne Staat also, der neuen gross und grösser werdenden radialen Mobilität die spezifische Infrastruktur bereitstellen, ohne nicht in zunehmend absehbarerer Zeit einen räumlichen und materiellen Kollaps in einer totalen und unumkehrbaren Vermassung zu erleiden?
Bis anhin reagiert der zwar zur Vernunft fähige Mensch in bestens bekannter Manier mit Verdrängung. Diese an sich gar nicht mal so schlechte Form, mit dem Schrecken umzugehen – zum Beispiel mit dem Horror des unabänderlichen Todes, vorrab natürlich dem des eigenen Sterbens – greift aber nicht immer. Dann nämlich, wenn Gefahren abgewendet werden könnten. Es stellt sich die Frage, ob der Wachstumswahn noch heilbar, ob dem VERMASSUNGSGAU noch vorzubeugen ist?
Im Falle des Automobils und der zugehörigen Mobilität ist es merkwürdigerweise nicht alleine in unseren Lande durchaus üblich und möglich, entgegen auch der hand- und kopffüssigsten Statistiken, ganz einfach das Gegenteil zu behaupten und sich zu Geistesblitzen hinreissen und hochschaukeln zu lassen, so wie es etwa jener immer wieder neu eingebrachte Vorstoss bedeutet, die Autobahnen eben zunehmend zwei und mehrstöckig auszubauen, damit wir die ja so notwendigen Wachstumsbranchen rund um das längst zum Fetisch einer süchtigen Mobilitätsgesellschaft gewordenen Auto nicht desavouieren oder gar seine Herstellung und sein Gebrauch regulieren müssen.
Klar steckt hinter dem konzeptkünstlerisch eingesetzten Packen von zig Modellautos auch ein gerüttelt Mass an kindlich spielerischer Freude. Der reinen und irgendwie unerklärbaren Freude auch der Ästhetik des Kleinen als dem Gegenspieler des wirklichkeitsbelasteten Grossen. Eine Prise Lausbub und ein Gran Puppenstube auch. Ein Stück unschuldige Erotik des Materiellen und des Habenwollens. Ein sexueller Stimulus lediglich der hochgelegenen Mittelohrregion im Zuge der Vorahnung auf das Paradies in Form zum Beispiel – in meinem Falle – eines edlen diskret porphyr bis weinrot glänzenden und praktisch geräuschlos aber mit der Kraft eines Militärlastwagens dahinschwebenden Bentley, den ich mir natürlich nicht leisten könnte.
Aber ach! Die Peitsche aus dem vielschattierten Grau der an der Realität gewonnenen Statistiken zum Fetisch Auto schlägt erbarmungslos auf den autolüsternen Hintern ein!
Mara, der sich ja schon Berufswegen mit Süchten auskennt – auch mit den eigenen, wie man sieht – weiss, dass zumindest theoretisch jede Sucht zu überwinden ist. Eine der Kardinalien der Suchttherapie ist die Vorbedingung der Selbsterkenntnis, der Erkenntnis des süchtigen Selbst. Dieses Erkennen kann auf mancherlei Wege erreicht werden. Schauen wir uns doch, um gleich damit zu beginnen, ganz einfach in Gemeinschaft den Autoblock von Mara an und fangen wir ganz allmählich an ganz sacht unsere Fesseln zu lockern, sie endlich zu lösen, um schliesslich irgendwann unser vierräderiges SM-STUDIO im kühlen Licht der noch vorhandenen Gegebenheiten und unserer hoffentlich noch intakten Vernunft als angenehm nützliches aber sehr sparsam zu gebrauchenden Fortbewegungsmittel erkennen können.
Sind wir in unserem Sadomasochismus noch zu retten?
Mai 2015, W. Studer
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