Von Rittern und Drachen
Aus der Serie «Sprachperlen»
Es zwingen die optisch kaum ins Gewicht fallenden Texte und die sie umfassende Struktur der identischen Rahmen dazu, das ganze Schreckenswerk in Descartschem Sinne räumlich ins Unendliche zu extrapolieren. Mara gelingt es mit diesem Gestaltungsmodus tatsächlich, sämtliche andern bekannten, erinnerbaren, zukünftig anzunehmenden und die endlose Liste all jener Entsetzlichkeiten, die wir nicht kennen oder noch nicht einmal erahnen können, anzumahnen. Wie so oft, so eben auch bei diesem Werk, bannt uns der Kunstwerker mit dem Stimmgabel-Effekt. Schlagen wir dieses Instrument an, klingen wunderbarer Weise sämtlich existierenden Töne, der ganze akustische Kosmos, mit – selbst jene, die unsereiner nicht hören kann. Nur leider ist hier die Fülle dessen, was mit assoziiert wird, ganz und gar nicht wohltuend schön und reine Harmonie. Die Gabel des Kunstwerkers ist eher eine kosmische Mistgabel, die niemals ausreichen wird, den riesigen Stall auszumisten.
Hat man sich eingestanden, dass alle die uns einfallenden Lösungsansätze gegen den Wachstumswahn kaum ausreichen, das zu Grunde liegende Problem MENSCH auch nur dem Prinzip nach zu begreifen, stellen wir uns die glücklicherweise etwas die Sorge zerstreuende und von dieser ablenkende nächste Frage: Was um Himmels Willen treibt den Kunstwerker Mara an? Warum führt er uns und in fast noch stärkeren Ausmass sich selbst immer und immer wieder die leidige Katastrophe in unterschiedlichster Ausbildung und zugegeben mit Witz und dito Unterhaltungswert vor Augen? Warum plagt er sich und uns in fast zwanghaftem Durchhalten mit dem Horror, der auch ohne seine Darstellung existiert – und dies auch noch, ohne Lösungen anbieten zu können? Ist der Kunstwerker Mara – in seiner Sprache, der Sprache des Psychiaters ausgedrückt und selbstredend mit einer gehörigen Portion Ironie unterlegt – ein DEPRESSIVER SADOMASOCHISTISCHER NEUROTIKER? Ist sein künstlerisches Tun etwa alsAUTOTHERAPEUTISCH zu verstehen, dem gegenüber sich der PATIENT, bzw. dessen EGO, dann aber auch noch als THERAPIERESISTENT erweist und sich dann – weil der Kunstwerker offensichtlich seine Bemühungen nicht einstellt – in einer analytisch nicht mehr zu erschliessenden Verschachtelung eine QUADRATUR DES NEUROTISCHEN ergibt, in der sich Mara in den tiefsten Tiefen des PATHOLOGISCHEN verliert?
Obwohl ich noch seitenweise in dieser Terminologie weiter baden könnte, ist natürlich klar, dass rein gar nichts davon wirklich zutrifft. Im Gegenteil: Mara ist zwar zweifelsohne ein kunstwerkender Lusttäter, aber – und hier wird es nun tief ernst – er ist inhaltlich ein selbstbetroffener Mahner, der sich darin nicht zurückhalten mag.
Leuten dieser „fadengraden“ Art werden seit ewigen Zeiten Vorwürfe abstrusesten Inhalts gemacht und – da sie ja nie der Unwahrheit bezichtigt werden können und somit immer recht behalten – sagt man ihnen Krankhaftigkeit nach. Um sie klein und ruhig zu halten, werden sie in der Regel gerne und bedenkenlos diffamiert.
Lernen wir daraus als die Moral von der Geschichte: Es ist gut, dass es RITTER gibt, die gegen den DRACHEN desWACHSTUMSWAHNSINNS kämpfen. Und, noch fast wichtiger, lernen wir stets die RITTER von den DRACHEN zu unterscheiden. Folgen wir konsequent dieser Devise, schlagen wir uns selbst zu Rittern, schaffen wir auf diese zauberhafte Weise, zusammen mit dem Kunstwerker, Heerscharen von Rittern!
(Ich jedenfalls, der Autor dieser Zeilen, wollte schon immer ein Ritter sein)
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