Cochonnerie
Aus der Serie «Sprachperlen»
(stu) Der Psychiater führt einen Rorschachtest durch. Der Proband assoziiert bei jedem der unterschiedlichen Klecksbilder das Gleiche, nämlich eine wilde Sexorgie. Der Psychiater, einigermaßen verdutzt, fragt den Probanden, was denn mit ihm los sei. Der Proband, nun ebenfalls verdutzt und leicht empört zum Psychiater: “Aber sie haben mir doch alle diese Schweinereien gezeigt”!
Die Kunst liegt im Auge der Betrachter, stellt man mit Recht fest. Die Schweinerei offensichtlich auch – und in vorgegebenen Fall des neusten Werkes des Kunstwerkers, den SENKRECHTEN SCHWEINEN, gilt dies in doppelter Weise, ist doch dieses Werk ein solches der Kunst und zugleich eine Schweinerei oder, im Ton etwas eleganter und weniger krude, eine COCHONNERIE, die zudem insofern das Potential zur hintersinnigen Pikanterie in sich trägt, als der Urheber ja auch Psychiater ist. Ein Werk also, das – genauso wie der eingangs zitierte Witz – grundsätzlich und sozusagen zum Voraus Wahrheit in sich trägt, die uns hier unbedingt als Profilaxe gegen die allgemeine Faulheit des Denkens und dito Humorlosigkeit ärztlich verschrieben wird.
Wir haben es immerhin mit einem Oxymoron zu tun. Einer Paradoxie nämlich, gebildet aus einem Paar zweier sich gegenseitig ausschließenden und negierenden Begriffe, die dennoch, bzw. gerade deswegen, präzisesten Sinnzusammenhang ergeben – wir haben es mit dem HEITERER ERNST zu tun! Und dies ist, lassen Sie sich dies gesagt sein, ist nicht gleich zu setzen mit einem Ernst, dem es an Ernst fehlt! HEITERER ERNST ist ein Gut jedweder Weisheitslehre und deshalb hat auch des Kunstwerkers COCHONNERIE eine echte Esoterik, das heißt, diesem Werk wohnt eine Weisheit inne, die nur einem kleinen eingeweihter Kreis von Kennern zugänglich ist. Also Hopp! Lasst uns Exoteriker Detektiv spielen!
Was also ist da eigentlich mit diesen zwar senkrechten aber anders als bei Edgar Allan Poe gemeint kopfständigen beiden Sauen mit den jeglicher Schwerkraft trotzenden, waagrecht abstehenden vollen Zitzen – und damit im Sinne der Antike “orthotitos”, mit stehenden statt hängenden Brüsten, die somit als noch jungfräulich-unverheiratet dargestellt erscheinen? Und warum im weiteren diese auf Menschen zu beziehende Erklärung? Weil Schweine uns seit jeher an uns selbst erinnern, und zwar meistens – die armen Schweine mögen uns verzeihen – an jene Seiten von uns, die wir ächten – zumindest vordergründig!
Niemand möchte ein Schwein sein und dies nicht alleine, weil wir diese menschenähnlichen Wesen zum Fressen gerne haben, sondern weil wir an unsere verborgensten Lüste gemahnt werden, wenn wir diese pervers erotisch, so gut wie haarlosen und rosa nackten fleischlichen Manifestationen der halbbewussten Natur betrachten. Kein Wunder wurde das Schwein nicht nur in der christlichen Kultur als eine der Darstellungen des stets wollüstigen, unzüchtig ehebrecherischen ( porneion = Ehebruch) und der Völlerei und vielem vielem lustvoll Sündigen mehr verpflichteten Teufels angesehen. Und schließlich – wie so überaus oft – verbindet sich darüberhinaus das nur diffus wahrgenommene Pornographische mit dem Gewalttätigen, dem Sadistischen, dem Töten und Morden. Und in der Tat scheinen die beiden unglücklichen Sauen des Kunstwerkers, gleichsam den sagenhaften Himmelsstürmer Taidalos und Ikaros, senkrecht auf die Schnauze gefallen und sie präsentieren sich so fürchterlicherweise in exakt der Stellung, in der man diese Lebewesen zu schlachten pflegt.
Oh diese armen Schweine! Schweine haben eben kein Schwein – denn dieses haben halt nur Menschen – und nicht nur dann, wenn sie eines haben.
Bei soviel Elend, das unserem Alterego in der Öffentlichkeit beschieden ist, bleibt nur noch übrig, uns Karnivoren einen gute Appetit zu wünschen, um das Ganze erfolgreich zu verdrängen.
Überhaupt dürfen wir in aller Freiheit und in letztlich politischer Politikferne jede noch so unanständige, unkorrekte, aberwitzig gesponnene und hoffentlich geheim sehnsüchtige oder poetisch höchst moralische Schweinerei assoziieren zu der wir insgeheim fähig sind. Denn darum geht es: Kunst ist halt nur so spannend, wie wir selbst bereit sind uns verführen zu lassen.
Dem kunstwerkenden Arzt sei hiermit gedankt auch für diese neueste und wiederum ganz und gar nicht bittere Pille. Wir, die Konsumenten dieser Medizin, befinden uns überdies für einmal in der komfortablen Position, dass nicht wir, sondern allein der behandelnde Arzt wegen allfälliger Kunstfehler leiden muss.
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