Wo ist der Meister geblieben
Aus der Serie «Sprachperlen»
(stu) Das was hier wie ein Spätwerk der grossen Meret Oppenheim oder wie eines der preislichen Luxuswerke von Yoko Ono, der genial Merkantilen aber ewig in den Schatten ihres hingemeuchelten Gatten verdammten Künstlerin, aussieht und uns irgendwie in seinem hospital-ästhetischen Grausel-Outfit mit dem nadelkissenartig mit Spritzen gespickten Charme eines knapp den Status eines seriös gesundheitsrelevanten Massagegerätes verfehlten Sex-Toys mehr verwirrt, als uns lieb sein kann, ist ja auch nur bedingt als ein lediglich not-stand-geiler Igel mit der kruden Potenz eines instantentflammbaren geschlechtszentrierten Super-Junkies zu verstehen. Nein! Es ist nichts davon und es ist auch nicht ein alabastriges Edelnichts, geschaffen mit dem gehobenen Anspruch in der nächsten Biennale in den Rängen zu glänzen, als hätte man die falsche Bescheidenheit eben erfunden und auch gleich mit Löffeln gefressen und vielleicht noch um eine Spritzenlänge weniger haben wir, das Publikum, es mit einem introvertierten Nagelkissen für den edlen Designbewussten Fakir zu tun, der im lustvollen Erdulden des Schmerzes nicht allein seine dunklen Seiten auslebt und uns mit der Flamme der Einsicht und der Lust auszuleuchten versucht, uns also in diesem Lichte den unserer unbezähmbaren Gier unausweichlich folgenden Dominoeffekt in den Untergang prophezeien. Nein!
Es ist auch keine künstlerisch verpackte Apologese der modernen Medizin, die für alles eine Spritze- aber scheints nie genug Ärzte hat diese zu applizieren! Der Psychiater-Kunstwerker ist ohnehin viel zu skeptisch gegenüber den Segnungen einer Medizin, die sich ab und an etwas zu vollmundig im Recht glaubt.
Nein, denn das was hier den weissen Norm-Sockel des Kunstwerkers krönt, ist auch nicht ein igelig gestyltes Marzipantörtchen mit minimalistischem Schockotopping für die Gourmet-Schau der Haut Cuisine Konditoren und Konditorinnen in Paris und es ist ebensowenig eine Giftqualle aus den Tiefen des Pazifiks oder ein Virus in der gigantischen Vergrösserung eines Modells — aber halt! Stop! Doch, natürlich! Genau das ist es! Das Modell des Wachstums-Virus, der sich in krebsartig sinnlos wachsender Wucherung auswirkt, der — wie einst der Gott der Pantheisten — omnipräsent und sich in allem zur Geltung zu bringen vermag und zwar längst ohne dass wir irgendwie Einfluss nehmen könnten. Denn der Virus sitzt in unseren Köpfen und lässt uns das tun, was er will und zwar so, dass wir glauben Herren jeglicher Situation zu sein, ein Recht auf alles und jedes zu haben, was konsumiert werden kann und von dem wir überzeugt sind, es sei Teil des uns auf jeden Fall zustehenden Glücks. Wir alle sind jener Zauberlehrling, der in Abwesenheit seines Meisters sich dessen Zauberstab aneignet, um selbst einmal eine Runde zu zaubern und zwar zum Zwecke der eigenen Befriedigung, was ihm dann katastrophal aus dem Ruder und iderart über den Kopf wächst, dass nur der glücklicherweise gerade noch im letzten Moment zurückkehrende Meister den endgültigen Untergang abwenden kann. Allerdings scheint mir, dass in unserem Fall kein Meister mehr zur Verfügung steht, um jetzt, also im letzten Moment, dem ganzen Wahn Einhalt zu gebieten. Wo nur ist der Meister geblieben?
Das Feuer, dessen Funken den pyromanen Virus endgültig zum letzten Brand entfachen wird, ist längst geschürt — uns wird nicht einmal mehr die Zeit vergönnt sein, neudeutsch und in der dem Hedonismus verankerten Borniertheit cool festzustellen “shit happens“.
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