Alles psychisch!

Nr60 Krank

Nr60 Krank

Psy­chi­sche Aus­fäl­le — der fünf­te Arti­kel aus der Arti­kel-Serie Rahmenhandlungen
.
Wie im Über­sichts­ar­ti­kel bereits ange­kün­digt, soll hier das Kon­zept der Rah­men­hand­lung anhand von 7 kon­kre­ten Bei­spie­len ver­tieft wer­den. Auch das heu­ti­ge Bei­spiel aus dem Jah­re 2006 habe ich wie­der­um aus dem bereits vor­ge­stell­ten Werk [Nr18 Rah­men­hand­lung 5] entnommen:

D e u t s c h l a n d  Frühberentungen

Psychische Erkrankungen sind mittlerweile
die Hauptursache für gesundheitsbedingte
Frühberentungen. 24,5% der Männer und
über 35% Prozent der Frauen treten aufgrund
von Diagnosen aus diesem Bereich früher
aus dem Erwerbsleben aus...

2006, Robert Koch Institut

Das künstlerische Konzept der Rahmenhandlung

Wir erin­nern uns: Das künst­le­ri­sche Kon­zept der Rah­men­hand­lung deu­tet eine Hand­lung als von ihrem jewei­li­gen Rah­men abhän­gi­ge (Ab-) Hand­lung. Die­se geschieht dem­nach nicht ein­fach frei und unab­hän­gig, son­dern wird durch ihre gesell­schaft­li­che, bio­gra­fi­sche und orga­ni­sche Vor­ge­schich­te (ihren Rah­men) geprägt. Es han­delt sich immer um eine Hand­lung im Rah­men — um eine Rahmenhandlung.

Auch die sub­jek­ti­ve (Be-) Deu­tung einer Hand­lung wird durch ihren Rah­men geprägt. So erscheint dem sub­jek­ti­ven Betrach­ter eine Hand­lung erst dann bemer­kens­wert, wenn sich die­se in einem bemer­kens­wer­ten Rah­men “abspielt”.

Was heisst das nun für unser aktu­el­les Beispiel?

Gar nicht krank ist auch nicht gesund (Karl Valentin)

Gemäss Robert Koch Insti­tut also, sind die Psy­chi­schen Erkran­kun­gen in Deutsch­land die Haupt­ur­sa­che für gesund­heits­be­ding­te Früh­be­ren­tun­gen. Die Zah­len in der Schweiz wer­den ähn­lich sein. Bald jeder zwei­te Erwach­se­ne wird inzwi­schen min­de­stens ein Mal in sei­nem Leben psy­chisch krank! Die­se alar­mie­ren­de Ent­wick­lung kann wohl beklagt wer­den. Ob es sich dabei um eine “ech­te” Zunah­me psy­chi­scher Gestört­heit der heu­ti­gen Gesell­schaft han­delt, ist aller­dings wis­sen­schaft­lich alles ande­re als klar. Allein schon dadurch, dass der Dia­gno­sen­ka­ta­log zwi­schen­zeit­lich erheb­lich aus­ge­wei­tet wur­de, muss­te auch die Häu­fig­keit der dia­gno­sti­zier­ten Krank­hei­ten (nicht Krank­hei­ten!) zwin­gend stei­gen. Es stell­te sich also fol­ge­rich­tig die Fra­ge: Han­delt es sich bei die­ser Häu­fung um mehr “ech­te Kran­ke” oder “dia­gno­sti­zier­te Kran­ke” oder bei­des oder was denn nun? Wis­sen­schaft­lich unzwei­fel­haft zu bele­gen ist aller­dings die ste­ti­ge Zunah­me der Dia­gno­sen im Dia­gno­sen­ka­ta­log: Gab es 1976 (ICD 9) gan­ze 2 Angst­dia­gno­sen, so waren es 1992 (ICD 10) bereits deren 8 (sic!). Der Dia­gno­ser­rah­men prägt die Anzahl dia­gno­sti­zier­ter Krank­hei­ten! Oder eben, der Rah­men bestimmt die (Ab-) Handlung.

Keiner will Einschränkungen

Ohne Ein­schrän­kung des Lei­stungs­ka­ta­lo­ges der Kran­ken­kas­sen oder — Ren­ten­ver­si­che­run­gen für “neue” oder umstrit­te­ne Dia­gno­sen wird die Zahl der Früh­be­ren­tun­gen aus psy­chi­schen Grün­den zwin­gend wei­ter stei­gen. Ein­schrän­kung? Wäre logisch, aber die wenig­sten Poli­ti­ker wer­den sich wohl die Fin­ger dar­an ver­bren­nen wol­len und kaum ein Ver­si­cher­ter frei­wil­lig auf neue Gesund­heits­lei­stun­gen ver­zich­ten — “man kann ja nie wis­sen”. Das Gesund­heits­we­sen explo­diert der­weil, die Kosten tun es auch. Immer mehr Ver­si­cher­te schei­nen finan­zi­ell damit über­for­dert: Schweiz­weit hängt jeder Drit­te, in man­chen Kan­to­nen bis zur Hälf­te (sic!) der Bür­ger zusätz­lich am Tropf des Staa­tes. Wir erin­nern uns: Der Rah­men bestimmt die (Ab-) Handlung.

Ein- und Aussichten

Eine Hand­lung oder ein Gesche­hen als Rah­men­hand­lung zu betrach­ten, kann Ein- und Aus­sich­ten ver­än­dern: Gesund­heit, defi­niert als “Zustand voll­kom­me­nen kör­per­li­chen, gei­sti­gen und sozia­len Wohl­be­fin­dens…” (WHO 1946) blie­be dem­nach zu hinterfragen…

Das Kon­zept der Rah­men­hand­lung hat mein Kunst­wer­ken stark beein­flusst, wes­halb ich ihm einen eige­nen Werk­raum Rah­men­hand­lung geschaf­fen habe. Dort fin­den Sie einen gene­rel­len Über­blick über das Konzept.

Alle Artikel der Serie

  1. Serie Rah­men­hand­lun­gen
  2. Gefan­gen in der Badewanne
  3. Pfle­ger ohne Herz
  4. Uner­träg­li­che Freiheit
  5. Alles psy­chisch! (Die­ser Artikel)
  6. Unter­gang, Dich­ter und Hochstapelei
  7. Armer Hund
  8. Fina­le

One thought on “Alles psychisch!

  1. ____
    Der Rah­men, um es in Ihren Wor­ten zu schrei­ben, hat sich sicht­lich ver­än­dert. Schlech­te Tage, fie­se Lau­nen, Trau­er, Sucht und Zwang — alles gehört zum Leben dazu und ist seit jeher eine Kon­stan­te. Die Defi­ni­ti­on dar­über was krank ist und was nicht, ver­än­dert sich der­weil ste­tig. In einer Zeit in der es ein “No Go” ist schlech­te Lau­ne oder einen schlech­ten Tag zu haben, in der man gegen­über allem und jedem Glück vor­zu­gau­keln hat und stets lei­stungs­fä­hig sein muss, ja in sol­chen Zei­ten hat sich die Defi­ni­ti­on mit Sicher­heit verändert.

    Im Wahn alles zu erklä­ren und zu ver­ste­hen gilt man bereits als gemein­ge­fähr­lich sobald man ab und an wütend wird. Beim kri­ti­schen Hin­ter­fra­gen der Obrig­kei­ten wenn sie uns wie­der aus­spio­nie­ren ist man bereits para­no­id (USA lässt grüs­sen) und wer sich heut­zu­ta­ge noch mit Spi­ri­tu­el­len The­men beschäf­tigt ist sicher­lich Psychotiker. 

    Schluss­end­lich trägt die­ser Defi­ni­ti­ons­wahn dazu bei, dass sich “Krank­hei­ten” wei­ter ver­brei­ten. Vie­le unbe­schol­te­ne Bür­ger lesen von neu ent­deck­ten Stö­run­gen und fra­gen sich, ob sie viel­leicht auch betrof­fen sind. Unse­re Rea­li­tät basiert zu einem gros­sen Teil auf unse­ren Erfah­run­gen. Wie wir eine Situa­ti­on erle­ben hängt mit den Erfah­run­gen zusam­men die wir gesam­melt haben. Man stel­le sich eine Kolon­ne mit Autos vor. Der pas­sio­nier­te 60er Jah­re Hip­pie sieht den grü­nen VW Bus, der sehn­süch­tig auf Kin­der hof­fen­den Frau fällt der Fami­li­en­wa­gen mit den Kin­dern auf, dem gut­be­tuch­ten Ban­ker sticht der Por­sche ins Auge den er sich letzt­hin beim Händ­ler ange­se­hen hat und für den pres­s­an­ten Bur­schen ist die Kolon­ne ledig­lich ein Stau. Allen aber ist gemein, dass sie die glei­che Situa­ti­on auf­grund ihrer Wahr­neh­mung und Bewer­tung anders erlebt haben.
    Was bedeu­tet dies nun für die neu­en DSM’s und ICD’s? Bei all der Fül­le von mög­li­chen Dia­gno­sen und dazu­ge­hö­ri­gen Sym­pto­men, fin­det sich für jeden das Pas­sen­de, das sich mit sei­nen Erfah­run­gen deckt! Halleluja!


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