Giftige Kröte
Ich freue mich, Ihnen das dritte Werk aus der Serie Weichlinge bekanntgeben zu können: <Nr27 Weichling 3>
Eigentlich möchte der Weichling gar kein Weichling sein — ich bin ein Weichling
“Immer wenn ein Freund von mir Erfolg hat, stirbt etwas in mir.”
(Gore Vidal)
Würden Sie zugeben, neidisch zu sein? Neidisch auf einen Freund? Freimütig und öffentlich zugeben? Mich jedenfalls hat Gore Vidal mit seinem ungeschminkten Bekenntnis — so gerade heraus — sehr überrascht und beeindruckt. Denn Neid ist nun mal eine ganz und gar einsame (Tod-)Sünde, für die es “einfach keine sozial akzeptierte Rechtfertigung gibt” (Georg Foster). Wohl nicht zuletzt deshalb nannte ihn der englische Dramatiker William Shakespeare ein “grünäugiges Monster” und der Philosoph Arthur Schopenhauer eine “giftige Kröte”.
Kein gutes Image
Obwohl durchaus häufig auftretend und jedem bekannt, verschafft einem der Neid gar kein gutes Image, sodass man ihn tunlichst und still für sich behält. Warum aber zählt eigentlich der Neid zu den Todsünden*, wo er doch als einzige “überhaupt keinen Spass macht” (Joseph Epstein), ja sich sogar qualvoll gegen den Neider selbst richtet? Ein zersetzender Schmerz angesichts fremden Wohlergehens, nur durch fremdes Leid kurzzeitig zu mildern? Wo sich doch der Neider selbst verachtet dafür, dass er Nahestehenden alles Übel auf Erden wünscht, nur weil ihm deren Erfolg unerträglich erscheint?
(*) Neid, Hochmut, Geiz, Zorn, Wolllust, Völlerei und Trägheit
Böse Zungen
Psychologen der Yale University haben herausgefunden, dass sich etwa 60 Prozent aller Gespräche unter Erwachsenen um nicht anwesende Personen drehen. Oft stecken dahinter Neidgefühle.
Neid bleibt in der Nähe
Oft sind die Beneideten die besten Freunde der Neider. An der Universität Georgia stellten Forscher fest, dass Testpersonen bei einem (Konkurenz-) Test ihre Freunde deutlich stärker benachteiligten (sic!) als fremde Teilnehmer. Die Erklärung der Forscher: “Sie konnten es nicht ertragen, ausgerechnet schlechter als ihre Kumpels zu sein. Der Neid, so beschreiben es die psychologischen Modelle, ist in erster Linie ein Phänomen der sozialen Nähe”.
Wohlstand hilft nicht
“Neid kriecht nicht in leere Scheunen” — Deutsches Sprichwort
Wer etwas hat, will immer mehr, wer alles hat, der will etwas anderes. Wohlstand hebt die Moral nicht, denn die Wünsche der Menschen sind ebenso unerschöpflich wie ihre Fantasien. Wenn jeder ein Auto, einen Kühlschrank und ein Fernsehgerät besitzt, dann beneidet man den anderen eben um sein Aussehen oder seine Gesundheit, um sein Ansehen oder um sein Charisma. Neid beflügelt den ungezügelten Konsum- und Wachstumswahn.
Neid vernichtet
Andrew Oswald und Daniel Zizzo von der britischen Warwick University stellten Testpersonen vor die Wahl, ihren (unterschiedlichen) Gewinn aus einem Glücksspiel mit nach Hause zu nehmen oder gegen Bezahlung (25 Pence pro Pfund) den Gewinn der Mitspieler zu verringern: „Zwei Drittel der Kandidaten haben sich an dieser Geldvernichtung beteiligt und dabei die Hälfte aller Gewinne zerstört“ stellten die Forscher fest — und führten dieses Verhalten auf Neid zurück.
Weiter verdrängen?
Neid zersetzt Familien und Freundschaften, erzeugt (Selbst-) Verachtung, löst böse Zungen, beflügelt den ungezügelten Konsum- und Wachstumswahn, vernichtet gemeinsamen Gewinn, ist häufig und — muss verdrängt werden. Neid ist allgegenwärtig und wäre für das Verständnis der menschlichen Natur eigentlich sehr beachtenswert. Wann also wird es möglich sein, freimütig über dieses schwierige Gefühl zu reden? Ohne reflexartige Abwertung? Öffentlich — wie Gore Vidal es gewagt hat?
Zum Werk
Zur Werkseite <Nr27 Weichling 3> mit weiteren Bildern, Werk-Daten und einem Kommentar von W. Studer
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Links
- Neid vernichtet: Daniel J. Zizzo, Andrew J. Oswald, Warwick University
Martin
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Wieso Todsünde? Neid ist ein (allzu) menschliches Gefühl, das sogar — wie es heute in der Zeitung zu lesen war — seine positiven Seiten hat: Neid kann anspornen, sich anzustrengen, um mit dem Beneideten gleichzuziehen, oder gar ihn zu überholen. Und erst der Beneidete: Er ist der Beneidenswerte, kann den Neid der andern geniessen…Also lassen wir dem Neid sein Plätzchen in der menschlichen Psyche.