Nr65 Schweigespirale

Sta­chel­draht auf Holz­sockel, 30x30x30cm (LxBxH), © mara 2015
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Redefreiheit n’ existe pas — es lebe der Hofnarr

Grup­pen­zwang schon im Vor­schul­al­ter: Bereits 4‑jährige Kin­der ver­tre­ten in der Grup­pe meist die Mehr­heits­mei­nung, selbst dann, wenn sie die­se eigent­lich für falsch (!) hal­ten. Die Stu­die des Max-Planck-Insti­tuts bestä­tigt ein­drück­lich die For­schungs­er­geb­nis­se von Eli­sa­beth Noel­le-Neu­mann, wel­che schon 1980 nach­wei­sen konn­te, dass Men­schen aus Angst vor Iso­la­ti­on ihre eige­ne Mei­nung ver­schwei­gen, wenn sie glau­ben, dass eine ande­re Mei­nung in der Öffent­lich­keit stär­ker aus­ge­prägt ist. Gleich­zei­tig nimmt die Anzahl derer, die sich trau­en, eine gegen­tei­li­ge Mei­nung über­haupt zu äus­sern, immer mehr ab. Die­se bei­den, sich gegen­sei­tig ver­stär­ken­den Vor­gän­ge bezeich­ne­te Noel­le als Schwei­ge­spi­ra­le.

Das Werk

<Nr65 Schwei­ge­spi­ra­le> Sozia­le Inter­ak­ti­on wird nicht als los­ge­lö­ste, unab­hän­gi­ge Ein­zel­er­schei­nung inter­pre­tiert, son­dern als von ihrem jewei­li­gen Rah­men abhän­gi­ge Zeit­er­schei­nung, eben als Rah­men­hand­lung. Sowohl das Reden als auch das Schwei­gen bekommt erst im jewei­li­gen (sozia­len) Kon­text sei­ne Bedeutung.

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Klassifikation

<Nr65 Schwei­ge­spi­ra­le> ist ein Werk aus dem Werk­raum Rah­men­hand­lung, Kunst­sprech: CONTEXT-ART.

Bekanntgabe

Aug 2015 → Rede­frei­heit, Pro­log zum Werk <Nr65 Schweigespirale>

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Zurück in die Zukunft der Blau-Wahrnehmung

Kommentar zum Werk Nr65

von Wal­ter Studer

Nr65_Schweigespirale_011(stu) Eine selt­sam ele­gant dahin dre­hen­de Sta­chel­draht-Spi­ra­le, die wie ein Modell im Maß­stab 1:100 eines Tor­na­dos allein schon daher Ungu­tes ahnen lässt und die auf dem übli­chen Podest des Kunst­wer­kers je nach Licht­ein­fall merk­wür­di­ge und unhei­me­li­ge Schat­ten wirft, die uns dif­fus an schreck­li­che nur schlecht ver­dräng­te Bil­der mahnt, und die uns trotz ihrer tän­ze­ri­sche Dyna­mik wegen ihrer Sta­cheln zurück­schrecken lässt.

Es ist dies die fast nai­ve und auf jeden Fall unmit­tel­bar authen­tisch, qua­si der Jugend­kul­tur gleich, wir­ken­de Umset­zung der in wis­sen­schaft­li­chen Arbeit von E. Noel­le-Neu­mann defi­nier­ten SCHWEIGESPIRALE, die eben­so exakt und mensch­lich und künst­le­risch bes­ser, näm­lich in gefühls­tie­fer Wahr­neh­mung im Werk von Hein­rich Mann “der Unter­tan” und in Alber­to Mora­vi­as “Il con­for­mista”, in nicht zu über­bie­ten­der Dif­fe­ren­ziert­heit und in einer kaum zu igno­rie­ren­den ewi­gen Aktua­li­tät längst zum lite­ra­ri­schen Denk­mal gewor­den ist.

Dem Kunst­wer­ker ist die­ser Stoff, die­ses Urphä­no­men in einer ihm nur schein­bar para­doxal fröh­li­che Gelas­sen­heit aus­lö­sen­den Inten­si­tät ste­tig nahe. Es gibt nichts, an dem er die­se Lei­dig­keit nicht ermes­sen wür­de. Aber sei­ner unmit­tel­ba­ren Erkennt­nis die­ses die Mensch­heit seit jeher mit-defi­nie­ren­den Wesens­zu­ges folgt die Weis­heit des fro­hen Mutes. Die­se sei­ne, jeg­li­cher Depres­si­on fer­ne Sicht ist das Fun­da­ment aller sei­ner Wer­ke und wohl auch sei­nes ärzt­li­chen Wir­kens. Bezeich­nen­der­wei­se erin­nert die Sta­chel­spi­ra­le an die DORNENKRONE und es scheint, als hät­te Mara die­se Kro­ne aus­ein­an­der­ge­zo­gen dar­ge­stellt, um deren Tat­säch­lich­keit in jeder ihrer Win­dun­gen, vom Klei­nen ins Unend­li­che und Unbe­stimm­te, qua­si wis­sen­schaft­lich auf­ge­glie­dert darzubieten.

Kom­men wir nun zu die­ser SCHWEIGESPIRALE, kom­men wir zu Maxli, der zusam­men mit dem etwas älte­ren Vren­e­li, den Him­mel betrach­tet. Vren­e­li behaup­tet, der Him­mel sei rosa. Maxli, dem die Far­be des som­mer­li­chen und wol­ken­lo­sen Nach­mit­tags­him­mel durch­aus als blau vor­kommt, beeilt sich aber nach kur­zem Nach­den­ken zu bestä­ti­gen, was die “Che­fin” sagt: Ja, der Him­mel ist rosa! Was auf die­ser Ebe­ne noch als schlaue Ver­mei­dung von Sank­ti­on erscheint, wird spä­te­stens bei Max bereits so weit ver­in­ner­licht sein, dass es ihm selbst nicht mehr bewusst ist. Max ist denn auch jener idea­le Gehor­sams­neu­ro­ti­ker, der sich die mei­ste Zeit als bedacht und weit­sich­tig wahr­nimmt, der von sich glaubt, ein idea­ler Bür­ger zu sein und der in sei­ner Pflicht­er­fül­lung als Unter­ge­be­ner oder als Vor­ge­setz­ter bis zur offe­nen und kom­pen­sa­to­risch nar­ziss­ti­schen Unmensch­lich­keit radi­kal sein wird. Max und sein weib­li­ches Gegen­stück, das es selbst­ver­ständ­lich auch gibt, sind der Stoff aus dem das Podest der Macht besteht, und es ist völ­lig egal ob die­ses Mon­strum wirt­schaft­li­cher, mili­tä­ri­scher, poli­tisch, reli­gi­ös-kon­fes­sio­nel­ler, eso­te­ri­scher, wis­sen­schaft­li­cher, part­ner­schaft­li­cher, sexu­el­ler usw. Aus­prä­gung ist, die Maxen die­ser Welt sind immer ger­ne und über­eif­rig dabei, sich für die Macht in die Brust oder in den Waf­fen­rock zu wer­fen, um gna­den­los nie­der­zu­ma­chen, was wider­bor­stig genug ist, sie mög­li­cher­wei­se dar­an zu erin­nern, dass auch in ihnen selbst noch immer jener ver­schüch­ter­te Maxli gefan­gen­ge­setzt verharrt.

Kann Max geheilt wer­den,? Wird Max der­einst zu einem, der die SCHWEIGESPIRALE zu ver­las­sen im Stan­de ist, bevor er jeman­des Unheil laut­hals als Heil zu dekla­rie­ren gezwun­gen wird oder gar ger­ne dazu bereit ist? Wird Max, wer­den wir uns QUERDENKEND vom auf­ok­troy­ier­ten Voll­zugs­ge­hil­fen-Dasein FREIDENKEN — und dies auf Dau­er? Was fast unmög­lich scheint, ist eigent­lich fast ein Kin­der­spiel: Wer­den wir Kin­der und star­ten wir noch ein­mal. Das bedeu­tet nicht kol­lek­ti­ve Reinfan­ti­li­sie­rung, son­dern die Wie­der­ge­burt der rei­nen BLAU-WAHRNEHMUNG. Wagen wir das Wag­nis des Den­kens und Füh­lens aus­ser­halb jeg­li­cher Vor­schrif­ten auf dem Spiel­platz jenes Lebens, das unse­res ist, und begin­nen wir end­lich statt zu schwei­gen zu reden. Neh­men wir in Kauf auch mal das Fal­sche, das Pein­li­che und das Unklu­ge her­aus­bre­chen zu las­sen. Man kann sich in der Bewe­gung des Redens ver­än­dern, erneu­ern und klü­ger wer­den — und, ja, ist Ihnen nicht auch schon auf­ge­fal­len, dass jene stil­len Was­ser, die so über­aus tief grün­den sol­len, zum über­wie­gen­den Teil lang­wei­li­ge Flach­was­ser sind?

Sep 2015, W. Studer

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