Ziffer kippend, weiss auf schwarzem Holzsockel, 27x21x34cm (LxBxH), © mara 2015
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Inspiration
Ein gespenstischer Ein(s)fall: Eine lebende Schabe so „elektrifizieren“, dass man sie per Smartphone fernsteuern kann: […] „Ground“-Elektrode in Thorax der Schabe implantieren, rechten Fühler zurückschneiden und Elektrode implantieren, linken Fühler zurückschneiden und Elektrode implantieren […] App auf Smartphone herunterladen, Insekt laufen lassen und per Fingerwisch auf dem Smartphone fernsteuern: links, rechts, links, rechts… (s. Video)
Backyard Brains Neuroscience for Everyone
Bestürzt? Fasziniert?
Sowohl das Bestürzt- als auch das Fasziniert-Sein bekommt Bedeutung und Anklang erst im jeweiligen (sozialen) Kontext: als wissenschaftliches Lehrstück oder barbarischer Zeitvertreib, Beifall oder Abfuhr…
Das Werk
<Nr70 Ein(s)fall> ist eine linguistisch eigenwillige Interpretation des Hochdeutschen, ein Einfall aus dem bunten Strauss des Menschlichen. Hier Neuroscience for everyone. Kunstsprech: COCKRO-ART.
Zum Werkkommentar
Klassifikation
<Nr70 Ein(s)fall> ist ein Werk aus dem Werkraum Deutung.
Bekanntgabe
Nov 2015 → Ein gespenstischer Einfall? — Prolog zum Werk <Nr70 Einfall>
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Oder so…
Kommentar zum Werk Nr70
von Walter Studer
(stu) Das neue Werk des Kunstwerkers ist einmal mehr ein schönes Stück aus der Zauberkiste der gepflegten Bürgerlichkeit. Und der Kunstwerker legt Wert darauf, genau diese Oberfläche der wahrnehmenden Betrachtung anzubieten, als wär der EIN(S)FALL ein harmlos apolitisch gewichtetes AMUSE YEUX. Eine Biederkunst, ein Geranium auf dem Balkon des Kunstschaffens und ein bildgewordenes Augenzwinkern all jenen, die zwar früh lächeln, aber spät oder nie hinter die Dinge zu sehen vermögen.
Da ist der gepflegt ausgependelte Graukeil, der vom Weiss der EINS zum Gravitgrau der Sockelplatte die Sinne beruhigt. Da ist das kleine rote Rechteck, das in die eine Ecke des Rechtecks der Basisplatte tendiert — ohne dass wir je eine Erklärung dafür finden könnten, ausser die eine gestalterische Wahrheit, dass eben dieses Rote einen gefälligen Kontrast und ein dramaturgisches Rätsel ergibt.
Ohnehin ist nicht ganz sicher, ob wir es hier mit einer Art Kleinplastik, einer Bastelei als Skulptur oder einer Installation zu tun haben. In Wahrheit ist es eine Inszenierung von Farbe, Form und dadaistischem Kalauern bzw. KUNSTSPRECH, wie es der Kunstwerker andernorts akzentuierend, aber — wie bei ihm üblich — nicht erläuternd, einführt.
Möglich und natürlich beabsichtigt ist die Evokation von Assoziationsketten in Bereich von Farbe, Form und Sprache, die den Radius des vorliegenden Kunstwerkes, dem EIN(S)FALL im Sinne des Autors zum räumlich-denkerischen und somit auch dynamischen GROSSEREIGNISS generiert.
Es ist also vollständig richtig, alles im EIN(S)FALL verwirklicht zu sehen, was uns in den Sinn kommt, was unser Denken beschäftigt hält und was dieses sich erklären lässt. Sie verstehen richtig, wenn sie erkennen, dass wir selbst zum künstlerischen Tun und denken verleitet werden sollen. Es ist dem Kunstwerker, der hier eigentlich zum Alchemisten wird, vollständig egal was wir sehen und erschaffen und herauslösen aus dem, was wir vermeintlich als Wirklichkeit begreifen möchten. In der Tat können die zur Künstlerschaft angeleiteten, also alle, die sich mit diesem Werk beschäftigen, von der symbolisch zeitgeschichtlich begriffenen Guillotinieren der Welt, des Einzelnen, der Kultur oder was auch immer, bis hin zum dadaistisch und postkubistisch ausgeführten Abstraktion eines Graupapageien, dessen Farbigkeit und — vergegenwärtigt man sich den Haken der fallenden EINS — und Form Mara im vorliegenden Werk umgesetzt haben mag. Ob gepflegte apokalyptische Endsicht oder mengentheoretische Basisgleichung; ob gesellschaftspolitisch eingefrorener Fall der sogenannten Ersten Welt oder tiefenpsychologisch autotherapeutisches Sehnsuchtswerk ausgeführt als freudianisches Phallustheorem. All dies und fast unendlich Vieles mehr wird angesichts des EIN(S)FALL geschaffen, um also gleich verworfen und ersetzt zu werden und es wird als solches nicht wirklich bedeutend sein. Allerdings wird unsere jeweilige Assoziationsarchitektur auf bzw. innerhalb dessen gebaut sein, was Mara als RAHMEN meint. Das bedeutet ganz einfach, dass die Betrachter ihren eigenen RAHMEN sich sichtbar machen und zugleich erkennen, dass insgesamt eine RAHMENHANDLUNG vorliegt, ob wir nun wollen oder nicht.
Diese deterministische Grenzerfahrung ist nicht leicht zu goutieren — aber nehmen wir es mit Humor, denn immerhin betrifft es uns allesamt, also auch den Kunstwerker selbst. Existenziell gesehen, sind WIR ALLE RAHMEN UND RAHMENHANDLUNG UNSERER SELBST — der Kunstwerker also ein Sklave seines Kunstwerkens — oder so…
Nov 2015, W. Studer
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