Nr73 Herausragend

Fünf Paar Stie­fel, aus Wand her­aus­ra­gend, von li nach re geord­net nach Trag­fre­quenz bzw. Prä­fe­renz des Trä­gers im Jahr 2015, Buchen­lei­sten, Vor­hang­be­schlag, 200x30x32cm (LxBxH), © mara 2016
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Inspiration

Es ist mal wie­der soweit, die Span­nung steigt. Rang­li­ste hier, Rang­li­ste da, Rang­li­ste Super­star. Kaum ein Bereich des täg­li­chen Lebens, der nicht für eine Rang­li­ste her­hal­ten muss. Gera­de zum Jah­res­wech­sel erreicht die Flut von Rang­li­sten — oder neu­deutsch Ran­kings — ihren Höhe­punkt. Rang­li­sten sind bestechend und ein­fach zu glau­ben. Rang­li­sten geben Halt und Struk­tur in einer immer schnel­ler wer­den­den Zeit und schaf­fen Ord­nung, die uns schein­bar zuneh­mend ver­lo­ren geht.

Mögen Rang­li­sten noch so skur­ril sein, wir lech­zen danach. Da der Wachs­tums­wahn mit sei­nem ent­grenz­ten Kon­sum gera­de auch in Bezug auf Halt, Struk­tur und Ord­nung sei­ne Opfer for­dert, mutie­ren Rang­li­sten zu Sur­ro­ga­ten für das ver­meint­li­che See­len­heil des wohl­stän­di­gen Men­schen. Und der wür­de fast alles tun für die ein­sa­me Berühmt­heit — an der Spit­ze der Rangliste.

Rang­li­sten ner­ven! Höch­ste Zeit also, jeden­falls für den Kunst­wer­ker, dem Wachs­tums­wahn ein­mal mehr mit einem neu­en Werk — und einer Rang­li­ste ;-) — in die Para­de zu fahren:

Werk

Das Werk <Nr73 Her­aus­ra­gend> kon­sti­tu­iert sich als Wand­ob­jekt aus zehn US-Boots, wel­che paar­wei­se und in auf­stei­gen­der Rang­fol­ge von li nach rechts fol­gen­de Rang­li­ste reprä­sen­tie­ren: kunst & wach 2015 → Mara → US-Boots → wie oft getra­gen: 1. TONI MORA brown, 2. SENDRA beige/red, 3. MEXICANA black/white, 4. SENDRA sna­ke, 5. SANCHO black/brown. Soll­te das Werk auf­grund die­ser Rang­li­ste zum Sur­ro­gat für das See­len­heil (s.o.) gerei­chen, bit­te sehr. Aller­dings kann und will der Kunst­wer­ker nicht dar­auf hin­aus, denn im Kern ist Nr73 eben doch nur ein wei­te­res Schau­stück un­vor­ein­ge­nom­me­ner (Um-) Inter­pre­ta­ti­on des Hoch­deut­schen ohne sprach­his­to­ri­sches Kor­sett, eine hei­tere Tra­ve­stie über Rang­li­sten, her­aus­ra­gende Stie­fel und eben­sol­che Men­schen. Kunst­sprech „LEADING-BOOTS-ART“.

Zum Werk­kom­men­tar

Klassifikation

<Nr73 Her­aus­ra­gend> ist ein Werk aus dem Werk­raum Deutung

Bekanntgabe

Jan 2016 → Sur­ro­ga­te für das Seelenheil
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Trophäen des Alltags

Kommentar zum Werk Nr73

von Wal­ter Studer

(stu) Frü­her, im 19. Jahr­hun­dert, in der Hoch­zeit des Cow­boy-Stie­fels galt, dass der Wester­ner in sei­nen Stie­fel starb und auch mit die­sen an den Füs­sen begra­ben wur­de. Heu­te, wo die­ser ursprüng­lich dem spa­ni­schen Mit­tel­al­ter ent­stam­men­de und mit den Con­qui­sta­do­res nach Ame­ri­ka gebrach­te Reit­stie­fel zum edlen und nicht ganz bil­li­gen modi­schen Acces­soire mutiert ist, tut man dies nicht mehr, obwohl die Chan­ce, im edlen Schuh­werk vom Ver­kehr dahin­ge­rafft zu wer­den, erheb­lich grös­ser gewor­den ist, als im alten Westen mit all sei­nen India­nern und Gun­mans und so.

Die Samm­lung von fünf Stie­fel­paa­ren, bei denen es sich nicht um bil­li­ge Imi­ta­tio­nen son­dern um teu­erst aus besten Mate­ria­li­en von Hand gefer­tig­te Ein­zel­stücke han­delt, sind im hori­zon­ta­len an der Wand mon­tier­ten Schuh­re­chen, der die Form einer ein­fa­chen Lei­ste hat, nach der Prio­ri­tät der Häu­fig­keit ihrer Benüt­zung inner­halb des ver­gan­ge­nen Jah­res sor­tiert und die­se Infor­ma­ti­on, d.h. die Aus­sa­ge die­ses Ran­kings inter­es­siert uns genau so bren­nend, wie uns das Ergeb­nis die­ses Ran­kings für das lau­fen­de Jahr inter­es­sie­ren wird und wie uns alle die Resul­ta­te all der zahl­lo­sen stän­dig irgend­wo auf unse­rem Pla­ne­ten krampf- und krank­haft erho­be­nen Ran­kings inter­es­sie­ren — näm­lich schlicht­weg über­haupt nicht!

Es sei denn, wir gehö­ren jener sich ratio­nal und natur­wis­sen­schaft­li­cher Gei­stig­keit rüh­men­der Cli­que von ewig unbe­lehr­ba­ren und zutiefst aber­gläu­bi­schen göt­zen­die­nen­den Wachs­tums­wahn­sin­ni­gen. Die­se Wirt­schafts­süch­ti­gen vol­ler pseu­do­re­li­giö­sem Eifer und die­se line­ar mate­ri­el­len Lei­stungs­fa­na­ti­ker sind es, von denen wir uns und unse­re Welt immer tie­fer und mit zuneh­men­dem Erfolg in einen end­zeit­lich anmu­ten­den Schla­mas­sel kut­schie­ren lassen.

Was aber soll dann die­se fast humo­rig leut­se­li­ge, ästhe­tisch und far­ben­froh gewich­te­te und —  zu Recht übri­gens — unver­hoh­len besit­zer­stol­ze Installation?

Auf jeden Fall und zunächst ist die­ses Arran­ge­ment als ein WORK IN PROGRESS zu ver­ste­hen, denn es ist ein dyna­mi­sches und per­ma­nent unbe­en­de­tes Werk, bei dem sich die Objek­te in der Form der beson­ders edlen Füss­lin­ge stets von neu­em und in zudem unvor­her­seh­ba­rer Aus­wahl und In hof­fent­lich (ja auch ich bin ein Lieb­ha­ber ech­ter Western­stie­fel) zuneh­men­der Anzahl im Gebrauch befin­den. Im Wei­te­ren führt uns die­ses Werk — das erste des Jah­res 2016 — auf dezent humo­ri­ge Art die Absur­di­tät des per se grund­sätz­lich zwei­fel­haf­ten Ran­kings vor Augen, ohne uns in pene­tran­tem Polit­jar­gon — wer hat davon nicht bis oben­hin genug! — die­ses ele­men­ta­re Fehl­be­wusst­sein des spät­öko­no­mi­schen markt­li­be­ra­len Zeit­al­ters dar­le­gen zu wollen.

Und schliess­lich soll­ten wir uns nicht all­zu viel vor­ma­chen: Auch im Janu­ar­werk ist der Kunst­wer­ker als ein Lust­tä­ter zu erken­nen — ja zu ertap­pen. Stolz und mit euphe­mi­stisch sei­ne Eitel­keit etwas ver­schlei­ern­der und in die­sem Sin­ne auf­ge­setz­ter ern­ster The­ma­tik prä­sen­tiert er uns sei­ne TROPHÄEN DES ALLTAGS als ein gelun­ge­nes START UP KUNSTWERK. Und weil er dies gekonnt zu lei­sten ver­mag ver­zei­hen wir im sei­ne Ali­bi-The­ma­tik indem wir die­se wirk­lich ernst neh­men — ohne jedoch dem Schau­stück, dem Expo­nat ohne Vitri­ne die Ehre der Betrach­tung zu verweigern.

In der Hoff­nung, dass der Kunst­wer­ker — der das Janu­ar­loch per­fekt mit Stie­fel umhüll­ten 10 Löchern zu fül­len ver­moch­te — all­fäl­li­ge olfak­to­ri­sche Pro­ble­me mit geeig­ne­ten che­mi­schen Mass­nah­men in den Griff bekom­me, freu­en wir uns auf neue Wer­ke des nach wie vor QUER und VERQUER den­ken­den Mara.

Jan 2016, W. Stu­der

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