Leinwand, Oelfarbe, Spezialhängung 280x95x2.5cm, © mara 1996
Kunst muss aus dem Rahmen fallen,
um sich im Rahmen des Kunstbetriebs
im Rahmen zu halten
Werk
<Nr12 Aus dem Rahmen gefallen> ist ein Schaustück linguistisch eigenwilliger Interpretation des Hochdeutschen, eine Travestie über Rahmen und Kunstbetrieb. Kunstsprech: FRAME-ART
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Klassifikation
<Nr12 Aus dem Rahmen gefallen> ist ein Werk aus dem Werkraum Deutung
Bekanntgabe
1996
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Gnade vor Recht
Kommentar zum Werk Nr12
(stu) Drei gleichformatige und ohnehin gleichartige Quadrate in grauweisser Ausdehnung, die nur mit je einem in eine Ecke geschobenen dunkel-blutroten kleinen Viereck zu einer unmittelbar kaum merklichen aber eben doch sehr wirksamen Spannung und insgesamt zum alle drei Gestaltungen vereinenden Spannungsbogen zu führen vermögen. Zu diesem bewusst dezenten Gestaltungsstatus addiert sich dann aber noch ein Schriftzug in einer gestempelt erscheinenden Blockschrift, die an Containerbeschriftung, aber auch fast nostalgisch an Militärmagazine und Waffenbeschriftungen, an Panzerschiffe und Unterseeboote erinnert. Und in der Tat passt diese letztere Assoziation besonders gut, denn die drei Tableaus wirken ja wirklich wie alte stahlgraue Panzerplatten mit einer durchdrückenden, ins Viereck gezwungene Blutspur.
Nein, obwohl rein abstrakt ausgeführt, es ist keine sinnlich angenehm aufzunehmende Kunst, die uns der Kunstwerker hier anheim stellt! Insbesondere, wenn wir den auf alle drei Bildtafeln annähernd paritätisch verteilten Schriftzug lesen. AUS DEM RAHMEN GEFALLEN steht da, als wäre es ein von einem anonymen Beamten eines totalitären Regimes verhängtes und sicherheitshalber auf ewig eingebranntes Verdikt, von dem man hinwiederum nicht weiss, ob es der skandalösen, wenn auch durchaus designnmässig dekorativen Schieflage der Bilder Rechnung trägt, oder ob diese an ein sinkendes Schiff angelehnt erscheinende Schräge, diese Sinklage, dieser höllische Winkel der Titanik, ein das Urteil vollstreckendes Moment des Verdiktes darstellt. Möglicherweise — und ich tendiere unbedingt in diese Richtung — ist es ein Paradoxon, das beides meint, das dann einerseits in der im Werk beklemmend vermittelten Unausweichlichkeit gegenüber jeglicher anonymer Macht, als Hommage an Kafka und in seiner Paradoxalität an Shakespeare zu verstehen wäre.
Klar ist natürlich die Primärbotschaft Maras, der ja immer wieder den lächerlichen Dirigismus darlegt, dass zwar Kunst aus dem Rahmen zu fallen hat, um von der Clique der Apparatschiks, die sich als Intelligenzija der Kunst- und Finanzwelt feiern, als solche beglaubigt zu werden, dass aber dann jegliches aus dem Rahmen fallen von Kunst einen neuen Rahmen der alten Verbürgerlichung zur Folge hat. Wer aus dem Rahmen fallen will, fällt nirgendwohin, ausser in den Rahmen zurück. Der einzige Fall, den eine solche um die Gunst der Menge und um dir Gunst der jeweilig von dieser beglaubigten Gralshüter der richtigen, der wirklichen Kunst bemühte Kunst zur Folge hat, ist ein moralischer Fall und einer der letztlich in die Kunstferne führt.
Ja, diese Zusammenhänge zu vermitteln sind Mara wichtig und sie sind ihm in allem, was er als Kunstwerker tut und in seinem ganzen Denken zu verwesentlichen sucht als prinzipiell philosophische Prämisse und als bewusstes Agens stets gegenwärtig. Und der Mechanismus, der jedes Aus-dem-Rahmen-fallen automatisch und unmittelbar zu einer neuen Verrahmung führen ist natürlich auch ein beispielhaftes Modell des Leibnizschen Determinismus, zu dem Mara im Laufe seines Lebens eine starke Affinität entwickelt hat.
Selbstredend hat dieses Leben in seiner Psyche Spuren hinterlassen, die sich auch in seinen Werken abbilden, auch wenn Mara richtigerweise — wiewohl selbst Psychiater — keineswegs bemüht ist, seine Werke psychogrammatisch aufleben zu lassen — es geht eben um sehr viel mehr — auch wenn dieses niemals geklärt und gefasst werden kann, auch nicht künstlerisch!
Dies darf jedoch die Betrachtung seiner Werke nicht hindern, auch den Menschen Mara, seine seelische Befindlichkeit, seine im selbst un- oder halbbewussten rein menschlichen Motive zu suchen. Denn immer ist der Künstler sehr viel stärker sein Werk, als es ihm selbst und uns auf Anhieb erscheint und bewusst ist. Wobei es bei all den Versuchen das Werk zu verstehen, niemals um Enthüllung und Entblössung des jeweiligen Autors zu tun ist — es sei denn, dass wir uns dadurch, in einer zweiten Phase selbst zu entdecken vermögen, indem wir letztlich vor uns selbst unser eigenes Selbst enthüllen und entblössen.
Lassen wir uns, falls wir tiefenpsychologische Eroberungen im unbekannten Kontinent des Kunstwerkers und im noch unbekannteren und rätselhafteren Kontinent unserer selbst — weil dieser uns zunächst zu Unrecht scheinbar zugänglicher erscheint — nicht erschrecken. Seien wir geduldig mit uns und auch mit allen andern und lassen wir dann vor allem GNADE VOR RECHT walten. Kunst sollte uns niemals neurotisieren, sondern uns im Gegenteil befreien dürfen. Geben wir ihr und uns die Chance!
Mai 2015, W. Studer
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