Bereit zu foltern?
Ich freue mich, Ihnen das zweite Werk aus der Serie Weichlinge bekanntgeben zu können: <Nr26 Weichling 2>
Eigentlich möchte der Weichling gar kein Weichling sein — ich bin ein Weichling
Die meisten Testpersonen sind bereit zu gehorchen und einer anderen Person Grausamkeiten zuzufügen, wenn dies von einer Autoritätsperson angeordnet wird – und zwar auch dann, wenn dies in direktem Widerspruch zum eigenen Gewissen steht.
1961 konnte im berühmt-berüchtigten Milgram-Experiment erstmals gezeigt werden, dass die Bereitschaft zum grausamen Gehorsam viel grösser ist, als gemeinhin angenommen — und zwar auch dann, wenn dieser in direktem Widerspruch zum eigenen Gewissen steht: Zwei Drittel der (40 männlichen) Testpersonen waren dazu bereit, einer unbekannten Person grausame Stromschläge (max. 450 Volt) zuzufügen, wenn es eine Autoritätsperson von ihnen verlangte. Das Milgram-Experiment wurde zum bekanntesten psychologischen Versuch aller Zeiten und die Ergebnisse lassen bis heute niemanden kalt, der von ihnen hört oder liest. Der Psychologe Stanley Milgram erhielt für seine Untersuchung zuerst (1964) den Preis der American Association for the Advancement of Science, später verweigerte die Harward University eine Anstellung Milgrams aufgrund heftiger Kritik an seinem Experiment.
Im Jahre 2007 nun wiederholten Forscher der Universität Santa Clara, Kalifornien, das Milgram-Experiment unter modifizerten Bedingungen (J. Burger, St. Clara Univ. 2007). Die bei Milgram geäußerten ethischen Bedenken wurden berücksichtigt und ergänzend auch Frauen als Testpersonen einbezogen. Wer nun gehofft hätte, dass sich die Menschheit knapp ein halbes Jahrhundert nach den erschreckenden Erkenntnissen Milgrams moralisch weiterentwickelt habe, sah sich getäuscht: Erneut gingen 70 % der Testpersonen bis zur Maximalstärke der Stromschläge (150 Volt). Und nein — es ergaben sich keine signifikaten Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Bereit zu foltern?
Lassen Sie es uns optimistisch formulieren: Zwar folgte die Mehrheit der getesteten Männer und Frauen der Anordnung zu foltern — aber nicht alle.
Zum Werk
Zur Werkseite <Nr26 Weichling 2> mit weiteren Bildern, Werk-Daten und einem Kommentar von W. Studer
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Links
- Artikel Wikipedia: das Milgram-Experiment
- Artikel Ärzteblatt.de: Milgram lite: Menschen weiter zur Folter bereit
- Artikel Welt.de: Wie normale Menschen zu Folterknechten werden
Martin
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Das Experiment zeigt nicht nur, zu welchen Grausamkeiten der “Normalbürger” fähig ist, sondern weist auch auf die Autoritätsgläubigkeit des Menschen hin — offenbar unverändert in der heutigen Zeit. Sich einer Autorität unterzuordnen, statt dem eigenen Gewissen zu folgen, ist für viele der einfachere Weg. Darf man sie in jedem Fall dafür verurteilen? Wie hätte man sich selber entschieden? Interessant ist die Frage, was denjenigen ausmacht, der sich unmenschlichen Befehlen widersetzt.
Walter S.
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DENKEN VERSUS FOLTER
Du hast uns wiedereinmal voll erwischt, lieber Marcel, mit deinem Artikel!
Da haben wir Menschen uns über Jahrtausende Strategien der Verdrängung ausgedacht. Vor allem die Sündenbock-Methode, die mit Begriffen wie “Luzifer”, “Teufel”, “Satan” usw. den Horror vom Menschen abzutrennen versucht. Jedoch ist das Phänomen des Bösen so unabdingbar und absolut mit den Menschen verbunden, wie es dessen Fähigkeit ist, als einziges uns bekanntes Wesen dagegen angehen zu können.
Dies allerdings geht nur, wenn wir die Sündenbock-Methode radikal über Bord schmeissen und in einer nicht moralisierenden Offenheit nachzudenken beginnen, die vor rein gar nichts zurückschreckt – nicht einmal vor der Möglichkeit der guten Tat!
Schon der kleinste Versuch lohnt sich sofort: man erschrickt weniger beim Betrachten der Welt, des Selbst und gewiss auch etwa beim Lesen deines Artikels, lieber Marcel.