SW-Druck auf oranger Basis, Galerie-Rahmen mit Passepartout 42x32x3 cm (LxBxH), © mara 2016
Es gehört zur Paradoxie des umstandslos dominant gesetzten Universalismus, dass in der Willkommenskultur auch der soziokulturell Fremdeste auf nahezu grenzenloses Verständnis vertrauen kann, während die Landsleute, die sich jenem Kult widersetzen und tradierte Lebensformen pflegen möchten, als kaum noch integrationsfähige Zeitgenossen erscheinen.
- Heribert Seifert, NZZ 14. Mai 2016
Werk
Oh welche Gnade, das unreflektierte Alltagsleben „vor sich hin“. Ohne die Last grundsätzlicher Gedanken (schon gar nicht philosophischer) lebt es sich augenscheinlich leichter. Diese begnadete „Leichtigkeit des Seins“ hat allerdings ihren Preis in ratloser Irritation. Ratlose Irritation ob unseres Wiederholungszwangs in den immer gleichen sozialen Konfliktsituationen oder ratlose Irritation ob der Unmöglichkeit, gegensätzliche Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Dies ist die Folge unreflektierter fundamentaler Gegensätze unserer Bestrebungen. Denn so irritierend und schwer zu akzeptieren es z.B. auch sein mag, dass Freiheit und Integration nicht in gleichem Masse zu haben sind –
<Nr80 Gegensatz 4> Unreflektierte fundamentale Gegensätze unserer Bestrebungen (hier Freiheit und Integration) lassen uns scheitern am ratlosen Wiederholungszwang des SOWOHL ALS AUCH. Kunstsprech: INTEGR-ART
Zum Werkkommentar
Klassifikation
<Nr80 Gegensatz 4> ist ein Werk aus dem Werkraum Gegensatz
Bekanntgabe
Mai 2016 → Sind Sie integriert?, Prolog zum Werk Nr80
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Religio an die Praeexistenz der Idee
Kommentar zum Werk Nr80
von Walter Studer
(stu) Die meisten der wenigen wirklich wesentlichen Feststellungen, Gedanken und Lebensweisheiten sind grundsätzlich dem ersten Eindruck banal und trivial. Sie erscheinen zudem den weniger geübten Denkenden deshalb im Habitus des TOPOS, des GEMEINPLATZES und es fällt nicht schwer, Aussagen der genannten Art als unerheblich, nicht bedenkenswert abzutun, oder als gedanklich sperrig und letztlich nicht schlüssig zu ergründen zu deklarieren. Ohnehin leben wir in einer philosophisch gesehenen Welt des Plakativen und der ewig und a priori fundamentlosen Nostalgie: Wir nehmen gemeinhin nur das SCHWARZ-WEISSE und das HEIMELIGE bzw. dessen Gegensatz das UNHEIMLICHE wahr — auch wenn beides und beiderlei Mix falsch sind.
FREIHEIT und INTEGRATION stehen im hübsch-harmlos angerichteten BEGRIFFSHELGEN — dem neusten Werk Nr80 von Mara — auf warmgelbem und Hoffnung heischenden Hintergrund gegengesetzt vertikal praktisch jedes für sich allein, denn das bequem horizontal dazwischen grafisch eingemittete VS als verbindende PRÄPOSITION schafft keine überzeugende Gegnerschaft dafür aber — nach einigem Nachsinnen — eine glaubhafte Liaison zwischen den beiden FREMDEN, den beiden philosophischen URIDEEN die als solche in der Wirklichkeit der Welt und dessen Geschehen niemals erreicht aber stets angestrebt werden sollten.
Dies obwohl jeglicher Versuch nach Freiheit zu streben das Gegenteil beweist: wohl können beispielsweise die derzeitig aktuellen Flüchtlinge aus Fremdkulturen, denen Integration im ihnen weitgehend fremden Land angeboten wird, diese auch erreichen. Die Glücklichen haben sich dann das Recht auf jene Freiheit erworben, die das betreffende Land sich und seinen Bürgerinnen und Bürger leisten kann. Eine Freiheit, die Sicherheit und einen gesellschaftskompatiblen Aktionsradius gewährt, der selbstredend wiederum und gleichzeitig von der Gesellschaft und ihren Gesetzen beschränkt ist — genau so, wie es im besten Fall für uns alle — Eingeborene oder Zugezogene — gilt.
Nur ist dieser Konsens von Kultur, Vernunft und Ideal im Grundsätzlichen eben nicht wirklich Freiheit — zumindest nicht jene puristische Freiheit, die nur als PHILOSOPHISCHE CHIMÄRE den permanent nachdenklichen Freiheitsfreund heimsucht — ganz einfach weil Freiheit kein Kind der Wirklichkeit ist, es sie also real nicht gibt, sie somit nur gedacht und als ewige Utopie angestrebt werden kann, ja angestrebt werden muss! Tun wir dies nicht und ergeben wir uns widerstandslos den Determinanten menschlicher Existenz, berauben wir uns dem vielleicht obersten Gut menschlicher Bewusstseinsfähigkeit, der WÜRDE bzw. ihrer Idee, denn auch die Würde ist eine in der Absolutheit ihrer Begrifflichkeit nicht existente, sondern lediglich als ein kategorischer Imperativ zu behauptende und anzustrebende. Wir haben es mit eigentlich transzendent akzentuierten Chiffren, mit unbedingt metaphysischen Abbreviaturen des Unwirklichen zu tun. Wir haben es, wie Georg Bernhard Shaw es auf den Punkt brachte zu tun mit “einer schwarzen Katze in einem dunklen Raum, die gar nicht da ist”.
Die Antike, Mittelalter, Renaissance und die Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein haben diese in Nr80 indirekt dargestellte Frage, wie eine Überführung der GEGENSÄTZE in ein alles vereinendes neues absolutes WUNDERBARES und REINES zu bewerkstelligen sei vor allem mit den rätselhaften Lehr-Sätzen der HERMETISCHEN, der TRISMEGISTISCHEN PHILOSOPHIE und der diesen unbedingt verbundenen ALCHEMIE zu lösen versucht. Heraus kam kein Gold, kein Stein der Weisen und auch kein Homunkulus, ein Menschlein aus der Retorte — dafür aber das famose Periodensystem, mit dem die Welt im Guten wie im Schlechten radikal verändert wurde und mit dem dennoch diese unsere Grundfrage einmal mehr nicht allein nicht nur nicht beantwortet werden konnte, sondern ganz im Gegenteil diese Frage erneut und in der Divergenz ihrer Grundkonponenten sogar gesteigert erscheint. Die zunächst unbestreitbaren Segnungen der Chemie haben uns die Hölle des WACHSTUMSWAHNS mit-beschert und den WOLF, der sich der Menschen selbst ist zusätzlich mit-genährt. Alles also wieder auf Anfang?
Wie auch immer und trotzdem: die Liebe des tagträumenden Philosophen, sehnsuchtsvollen Freiheitskämpfer und deterministisch halbwegs befreiten Idealisten und Kunstwerker Mara gilt auf ewig der FREIHEIT in der Funktion eines PRAEXISTENTEN MENSCHLICHEN POSTULATES an den KOSMOS. Da nützen alle gut gemeinten Argumente in der Form von Appellen an die Wirklichkeit nichts — Mara bleibt dabei und lebt und denkt damit gewiss nicht schlecht.
Die Wirklichkeit ist ihm eine Sache, die RELIGIO an die IDEE eine ganz ganz andere.
Mai 2016, W. Studer
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