Kreuz, Fichte schwarz lackiert, Sonnerieschild graviert, 17x5x21cm (LxBxH),
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Inspiration
Ein brasilianischer Friedhof reagiert auf die zunehmende Fettleibigkeit Verstorbener mit Gräbern in Übergrösse. Die XXL Ruhestätten bieten Platz für sterbliche Überreste bis 500 Kilogramm.
Das Werk
<Nr59 XXL> Soziale Veränderungen werden nicht als losgelöste, unabhängige Einzelerscheinungen interpretiert, sondern als von ihrem jeweiligen Rahmen abhängige Zeiterscheinung, eben als Rahmenhandlung. Hier die zunehmende Verfettung der Wohlstandsbürger. Kunstsprech: FATTY-DEGENER-ART.
Klassifikation
<Nr59 XXL> ist ein Werk aus dem Werkraum Rahmenhandlung
Bekanntgabe
Mai 2015 → Wohlstandsgrab, Prolog zum Werk <Nr59 XXL>
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Vom Jagen und Jäten
Kommentar zum Werk Nr59
(stu) Ein Lateiner des Frühchristentums hätte sofort erkannt, dass es sich beim solid sauber gearbeiteten und matt schwarz gestrichenen Objekt um ein Kreuz handelt, das etwas merkwürdig anmutend einen um ein Vielfaches verdickten Kreuzständer aufweist, neben dem die Kreuzarme nur mehr wie lächerliche Stummelchen wirken. Der Frühchrist wäre dann näher getreten um die Inschrift entziffern zu können. XXL hätte er dann gelesen und scharfsinnig gefolgert, dass hier ein Gemeinschaftsgrab für 30 Personen markiert war. Wir, die wir ohnehin immer alles besser wissen, als unsere Ahnen, wissen natürlich, dass XXL nicht die römische Zahl 30 meint, sondern dass IGGS IGGS LARTSCH die Bezeichnung für Übergrösse ist, für saumässig gross und irre dick.
Dieses Zauberwort unserer materiell und hedonistisch ausgerichteten Welt, die immer alles noch grösser, noch stärker, noch lauter braucht, um sich überhaupt noch definieren und spüren zu können, ist jedoch nicht immer positiv konnotiert. Wenn es um die Leibesfülle geht, die den Körpermass-Index, den Bodymass-Index BMI in die Höhe und über 25 hinaus schiessen lässt, ist XXL ein Verdikt, das den Begriff der guten alten Sünde wieder hochleben lässt. Ein XXL Körper braucht nicht mit einem Zeichen als mega uncool, als schändlich und natürlich als selber schuld ausgezeichnet zu werden. Alle sehen die Dicken und der einzige Trost für diese auch bereits als Schädlinge des Volksvermögens und der Ökonomie erkannten XXL-er ist der, dass sie und wir alle längst wissen, dass die Zahl der Schandbaren und ungebührlich Platz fressenden XXL-er rasant ansteigt: Gestern noch Minderheit, morgen schon Mehrzahl!
Unser Verhältnis zum Dicksein ist an einem nur ganz ganz kleinen Ort ein gesundes. Ansonsten sind wir auf dem Trip des magersüchtigen Models, das uns mit Silikon und Botox gepimter Äusserlichkeit dummdreist und luxusverdächtig entgegengrinst als wären wir ihr männliches Gegenstück, der bis zur Behinderung gesixpackt hochtrainierte Bachelor mit süsslich auf Hippster gestelltem Outfit und vernachlässigt leerem Infit.
Wir bangen mittlerweile beim Anblick eines XXL-ers unverhohlen unsolidarisch um den Anstieg der Krankenkassenbeiträge und der Steuern und wie finden dass die Fläche des Sitzplatzes in jeglichem öffentlichen Verkehrsmittel, das Spitalbett und auch der Sarg nach Volumen zu bezahlen sei.
Überhaupt darf das Business wegen der Dicken nicht leiden — wenn schon sollte man mit ihnen und ihrem Volumen das Bruttosozialprodukt gefälligst steigern. Warum eigentlich werden die Leichen der Dicken nicht einfach gründlichst liposuktioniert, so dass sie anschliessend in einen kostengünstigen schuhschachtelgrossen Sarg passen, der dann auch noch gleich mit der Menge des abgesaugten Körperfettes insofern abgegolten werden könnte, als man dieses wertvolle Produkt der Schmiermittelfabrikation und der Kosmetikbranche zuführen würde. Allen, auch der Umwelt, wäre geholfen und überhaupt liesse sich diese innovative Idee in einer Weise weiterdenken, die es ermöglichte den Hunger in der Welt gewissermassen kostenneutral zu bekämpfen. Denn wie uns die hehre Welt des unendlichen Konsums immer wieder versichert, gewöhnt man sich schnell an jegliches Produkt, solange wir dabei nicht am Konsum gehindert werden oder unser Portmonee nicht strapaziert wird, ist alles gut, ist alles Markt! Amen!
Natürlich wäre auch — wie uns dieses Werk vom Kunstwerker nahelegen könnte — darüber nachzudenken, woher denn diese aus dem Gleis geworfenen Dicken und Dünnen kommen? Und ob wir tatsächlich all das brauchen, was produziert wird? Ob Konsum wirklich oberstes Glück und Gebot ist? Ob es nicht lustvoll und gesund sein könnte, zu verzichten und herauszufinden was uns wirklich dient? Es braucht gewiss nicht die Rückkehr in die Prähistorie der Jäger-Sammler-Kultur — aber ein bisschen davon, ein Tröpfchen Schweiss und ein wenig Muskelkater, die nicht vom Fiten, sondern vom JAGEN UND JÄTEN herrühren, könnten uns zu gedanklich ganz neuen Ufern führen — nämlich zu den alten.
Juni 2015, W. Studer
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