Nr95 Ein bunter Strauss

Schop­pen (Baby­fla­sche), Acryl­far­be  rot, 5x5x20 cm (LxBxH), © mara 2017
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Bei der Früh­ge­burt unter­nimmt er alles Erdenk­li­che, um den Tod abzu­wen­den, bei der Abtrei­bung alles Erdenk­li­che, um das Leben abzuwenden.
Ein bun­ter Strauss — der Mensch.

Den Tod abwenden

Die moder­ne Inten­siv­me­di­zin hat beim Durch­brin­gen von Früh­ge­bur­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten gros­se Fort­schrit­te gemacht. Heu­te ist es mög­lich, Babys schon ab 22 voll­ende­ten Schwan­ger­schafts­wo­chen durch­zu­brin­gen und zwar — in ent­spre­chend ein­ge­rich­te­ten Zen­tren — auch mit sehr guten gesund­heit­li­chen Chancen.

Das Leben abwenden

Die mei­sten Abtrei­bun­gen erfol­gen im Auf­trag und bei vol­lem Bewusst­sein der Schwan­ge­ren inner­halb der ersten zwölf Schwan­ger­schafts­wo­chen (SSW) medi­ka­men­tös oder durch ärzt­li­ches Absau­gen des Embry­os. Bei Abtrei­bun­gen nach der 13. SSW löst der Arzt eine Fehl­ge­burt aus, damit der Fötus stirbt. Das “Dilem­ma”: Bei Spät­ab­trei­bun­gen nach der 22. SSW kann es vor­kom­men, dass das Kind über­lebt. Dann aber gilt es recht­lich gese­hen als gebo­re­ner Mensch und darf nicht mehr ein­fach getö­tet oder ster­ben gelas­sen wer­den, wie unter dem Abtrei­bungs­ge­setz. Dies wie­der­um ver­pflich­tet den Arzt dazu, lebens­ret­ten­de Sofort­mass­nah­men ein­zu­lei­ten ─ obwohl doch der Tod sein Auf­trag war. Um die­ses “Pro­blem” geset­zes­kon­form zu lösen, muss der Arzt den “Abtrei­bungs­kan­di­da­ten” noch im Mut­ter­leib mit einer Todes­sprit­ze abtö­ten (Feto­zid). Der Arzt wird so zum bedau­erns­wer­ten fina­len Voll­zugs­ge­hil­fen einer hor­ri­blen gesell­schaft­li­chen Rah­men­hand­lung beque­mer Hilf­lo­sig­keit: hilf­lo­se Gesell­schaft → hilf­lo­se Poli­tik → hilf­lo­se Schwan­ge­re → hilf­lo­ser Arzt. Alles fol­ge­rich­tig, säku­lar, alles legal — dein Bauch gehört Dir.

Werk

Glei­cher­mas­sen wie die Schlecht­wet­ter­front, die sich aus Sicht der Meteo­ro­logie auf­grund der Sum­me aller zeit­li­chen, glo­balen und loka­len (Rah­men-) Bedin­gun­gen ergibt, las­sen sich gesell­schaft­li­che “Sit­ten und Gebräu­che” (hier die Abtrei­bung von Leben mit einer hilf­lo­sen Schwan­ge­ren als Auf­trag­ge­be­rin, einem hilf­lo­sen Arzt als Auf­trag­neh­mer und einer hilf­los-beque­men Gesell­schaft als Gesetz­ge­be­rin) letzt­lich als Ele­men­te einer Rah­men­hand­lung ver­ste­hen, die sich auf­grund der Sum­me glo­baler, loka­ler und per­sön­li­cher (Rah­men-) Bedin­gungen der Sozie­tät ergibt. Rein sprach­lich (nicht aber in der Sache) blie­be dem­nach sowohl ein muti­ges DEN RAHMEN SPRENGEN als auch ein AUS DEM RAHMEN FALLEN zu hin­ter­fragen. Kunst­sprech: PASSAWAYART

Ent­we­der nie­mand ist schuld, oder wir sind es alle — Demut tut Not.

→ Zum Werk­kom­men­tar von W. Studer

Klassifikation

<Nr95 Ein bun­ter Strauss> ist ein Werk aus dem Werk­raum Rahmenhandlung

Bekanntgabe

Mai 2017 → Dein Bauch gehört dir — Pro­log zum Werk Nr95

Zum gleichen Thema

<Nr61 Kin­der­leicht>
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Die wahre Optik der Weisheit

Kommentar zum Werk Nr95

von Wal­ter Studer

(stu) Die Säug­lings­fla­sche, Ersatz für die Brust der Mut­ter, Gefäss für deren Milch — jene abso­lu­te Essenz des Lebens — und des­halb zu Recht auch eines der ganz star­ken Sym­bo­le für eben die­ses doch eigent­lich selbst­ver­ständ­lich zu schüt­zen­de Gut, genau genom­men dem ein­zi­gen Gut, das der Mensch über­haupt hat.

Nun hat Mara mit der Andeu­tung eines roten Farb­zu­ges, der einem Rest der Fla­sche ent­saug­ten fri­schen Blu­tes gleich dem Saug­nuckel ent­lang run­ter­läuft, dem Schrecken der Welt ein Bild gege­ben. Ein Aus­druck, der, gleich­sam dem roten Faden der mensch­li­chen Exi­stenz, die Unfä­hig­keit des Men­schen zum rech­ten Tun, die Unmög­lich­keit leben­di­ger Ethik, auf­ge­zeigt. Mara ist nicht der erste und nicht der letz­te, der sol­ches glück­li­cher­wei­se mehr meta­pho­risch dar­stellt als ein­fach pla­ka­tiv anklagt und der bei die­sem sei­nem Wer­ken erschrickt, weil er das offe­ne Geheim­nis einer jeg­li­chen mensch­li­chen Bos­heit erken­nend wie­der­gibt — genau so, wie er sich gleich­zei­tig der spe­zi­fisch mensch­li­chen Idee des Guten bewusst ist, die sich eben als Ethik aus­for­mu­liert. Es ist die­se Bewusst­heit des Guten, durch die wir alle die Schuld erken­nen und dadurch, selbst wenn wir um das Gute bemüht sind, selbst immer auch mit­schul­dig werden.

Exakt dar­um han­delt die Gene­sis, der im ersten Buch des Alten Testa­ments über­lie­fer­ten Geschich­te, in der von Adam und Eva, den ersten Men­schen also, berich­tet wird. Die­se wer­den von Luzi­fer — was so viel heisst wie Licht­brin­ger oder Licht­trä­ger, eben die intel­lek­tu­el­le Fähig­keit zur Erkennt­nis der mensch­li­chen Wider­sprüch­lich­keit — zum Genuss des, eigent­lich nach alt­te­sta­men­ta­ri­schem Ver­ständ­nis nur Gott vor­be­hal­te­nen Apfels der Erkennt­nis ver­führt, wor­auf sie dem Ver­der­ben anheim­fal­len, plötz­lich ihre Nackt­heit wahr­neh­men und sich als­bald ihrer Blös­se schä­men. Die­se Pas­sa­ge der Gene­sis wur­de seit spä­te­stens dem 3. Jahr­hun­dert von den durch­wegs alt­ori­en­ta­lisch frau­en- und sexu­al­pho­bi­schen Kir­chen­vä­tern und Theo­lo­gen falsch ver­stan­den. Die­se noch heu­te im Chri­sten­tum als Hei­li­ge hoch ver­ehr­ten Män­ner, die die Schrif­ten zum Bibel­ka­non aus­leg­ten, aus­wähl­ten und redi­gier­ten — wobei es sich in der Regel um Zen­sur und Text­un­ter­drückung han­del­te — glaub­ten die­se Stel­le line­ar als Auf­for­de­rung zur Keusch­heit und got­tes­ge­fäl­li­ger, näm­lich auf die Zeu­gung von Nach­wuchs zu beschrän­ken­der Libi­do, aus­zu­le­gen zu müs­sen. Die­ser in der Fol­ge über Jahr­hun­der­te und tat­säch­lich bis heu­te gefähr­lich wuchern­de Unsinn, der nicht zuletzt zu uner­wünsch­ter Schwan­ger­schaft und in Ein­heit mit der man­cher Orten bis dato gän­gi­gen sozia­len und gei­sti­gen Mar­gi­na­li­sie­rung der Frau­en als Vor­schub für hand­fe­ste sexu­el­le Über­grif­fe und sogar für Ver­ge­wal­ti­gun­gen dien­te. Taten, die dann ganz im Sin­ne des obge­nann­ten Unsinns wie­der­um den Opfern ange­la­stet wur­den und teil­wei­se noch immer wer­den — auch heu­te noch wer­den bei­spiels­wei­se soge­nann­te Ehe­bre­che­rin­nen in gewis­sen zurück­ge­blie­be­nen Gesell­schaf­ten zu Tode gesteinigt!

Die plötz­li­che Scham vor der Nackt­heit, die sich nach dem Genuss des Apfels vom Bau­me der Erkennt­nis ein­stell­te, meint genau das, wozu Mara im sei­nem Pro­log zum Werk auf­for­dert, näm­lich Demut. Demut heisst nichts ande­res als die Annah­me jeg­li­cher Wider­sprüch­lich­keit des Daseins und der Welt als etwas, dem man selbst unter­wor­fen und als par­ti­el­ler und grund­sätz­lich poten­ti­el­ler Ver­ur­sa­cher teil­haf­tig ist, ob man will oder nicht. Demut ist also auch die Erkennt­nis der unüber­wind­ba­ren eige­nen Blös­se, der Unfä­hig­keit, trotz bes­se­ren Wis­sens das Schlech­te gleich­zei­tig zu tun oder tun zu müs­sen. Demut heisst aller­dings nicht Akzep­tanz all die­ser immer auch eige­nen Unfä­hig­kei­ten, dahin ori­en­tiert, dass man halt nichts machen kön­ne gegen die­ses uns allen durch die eige­ne Natur auf­ok­troy­ier­te Ent­set­zen! Demut for­dert auch, sich gegen das als falsch Erkann­te mit den zu Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln zu weh­ren, sei­en die­se Mit­tel auch noch so gering und die Wir­kung des sich gegen den Wahn Stel­lens abseh­bar noch gerin­ger. Demut ist die ein­zi­ge Lebens­form, die sich nicht über die ande­ren erhebt, und es erlaubt, mit den Ande­ren zu leben und gege­be­nen­falls mit Ihnen und mit sich selbst zu strei­ten. Demut ist die wah­re Optik der Weisheit.

Genau von die­sem Impuls beseelt ver­ste­he ich den enga­gier­ten Pro­log von Mara zu sei­nem neu­sten Werk und die­ses Werk selbst. Das Werk eines Arz­tes nota bene, der einst noch den Eid des Hip­po­kra­tes leistete.

Mai 2017, W. Stu­der

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