Kunstpflanze Sansevieria Cylindrica, Batterien, Schaltdraht, Kabelbinder, 25x25x75cm (LxBxH),
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Inspiration
Nachdem die Urwälder durch Kahlschläge und Rodungen bereits auf ein Fünftel ihrer einstige Ausdehnung geschrumpft sind […] breiten sich künstliche Pflanzen immer mehr aus.
Immerhin.
Das Werk
<Nr57 Surrogat 1> Vom Kahlschlag zum Kunstprodukt — ein Aspekt von Wachsdum. Kunstsprech: SURROG-ART
Klassifikation
<Nr57 Surrogat 1> ist ein Werk aus dem Werkraum Wachsdum
Bekanntgabe
Mai 2015 → Prolog zum Werk <Nr57 Surrogat 1>
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Gefrorene Tränen versus Verblödung
Kommentar zum Werk Nr57
(stu) Eine strammgesunde Topfpflanze entwickelt bei näherem Hin- und Rundumsehen den Charme einer etwas skurrilen Sonntagsbastelei, indem nämlich an der Basis des Topfes drei handelsübliche Batterien für Taschenlampe oder so gebündelt angefügt und durch zwei verschiedenfarbige elektrisch leitende Kupferdrähte, deren Enden professionell gehäutet diskret ins Erdreich gesteckt, zu einem Ganzen verbunden sind. Man kann bei diesem Werk ein harmloses Avers von einem bedeutend weniger harmlosen und bei zunehmender Betrachtung zunehmend bestürzenderes Revers unterscheiden. Das Avers zeigt uns die bürgersinnige Grünpflanze mit ihrer Datenbanderole. Das Revers die Energie zu- oder abführende elektrische Maschine, die alsbald als Bombe erkannt, dem Magen verhaltene Panikkrämpfe beschert. Dann doch schnell zurück zum Avers. Aber oh Schreck — das Nestwärmepotential des unschuldigen Gewächses wird vom aufkommenden Grauen ins nichts geschrumpft, denn erst der sehr eingehende Augenschein entdeckt schliesslich deren plastifizierte Falschheit.
Was wird hier mit uns gespielt? Ist der Kunstwerker in seiner stets enttäuschten Absicht, die Welt durch Kunst irgendwie doch vielleicht ein klitzeklein wenig zu verbessern, unversehens zum unbewussten Bombenterroristen mutiert? Oder ist der Kunstwerker einmal mehr lediglich Chronist der Zukunft? Einer Zukunft, der längst nicht mehr zu entkommen ist und die wir uns nicht vorzustellen wagen? Oder, wenn wir uns dennoch ein Bild von ihr machen, ein lediglich eindimensional lineares Konstrukt resultiert — ein Konstrukt, das dem multidimensionalen und schärfsten exponentiellen Potenzial des zukünftigen Schreckens nicht einmal ein lächerliches Feigenblatt abgibt und das die Möglichkeit einer dannzumal durch Plastikersatz surrogierten Menschheit dem Weiterdenken nicht vorenthalten kann.
Die Hoffnung, dass die Dinge so sind, wie wir sie sehen, ist nicht trügerisch, sondern ganz einfach vollständig und auf immer und ewig verfehlt. Und dennoch mag niemand diese seit ewigen Zeiten immer wieder als Illusion entlarvte Idee sterben lassen! Nicht nur, dass wir ganz persönlich immer wieder offenen, aber sinnblinden Auges und selbstverständlich von der Umgebung ausgiebigst gewarnt in diese primitivste aller Fallen tappen, vor der wir nota bene unsererseits warnen, wenn nicht wir selbst das potenzielle stets kreuzdumme Opfer sind.
Maras stets hinweisende und feststellende, niemals aber unmittelbar moralisierende Kunst, ist dennoch unausweichlich moralisch und nicht ganz ohne edukative Hoffnung — auch wenn der Kunstwerker dies natürlich verneint. Maras Kunst, so burlesk und unsentimental sie in der Regel daherkommt, ist — wie jede Kunst zu jeder Zeit — ein Bau gefrorener Tränen.
Und vielleicht sind es genau diese gefrorenen Tränen, die menschliche Existenz ausmachen und diese überhaupt insofern ermöglichen, als sie letztlich der möglichen totalen Verblödung der Menschheit entgegengesetzt sind.
Mai 2015, W. Studer
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