Gefrorene Tränen versus Verblödung

Aus der Serie «Sprachperlen»

Nr57 Surrogat 1

Nr57 Sur­ro­gat 1

(stu) Eine stramm­ge­sun­de Topf­pflan­ze ent­wickelt bei nähe­rem Hin- und Rund­um­se­hen den Charme einer etwas skur­ri­len Sonn­tags­ba­ste­lei, indem näm­lich an der Basis des Top­fes drei han­dels­üb­li­che Bat­te­rien für Taschen­lam­pe oder so gebün­delt ange­fügt und durch zwei ver­schie­den­far­bi­ge elek­trisch lei­ten­de Kup­fer­dräh­te, deren Enden pro­fes­sio­nell gehäu­tet dis­kret ins Erd­reich gesteckt, zu einem Gan­zen ver­bun­den sind. Man kann bei die­sem Werk ein harm­lo­ses Avers von einem bedeu­tend weni­ger harm­lo­sen und bei zuneh­men­der Betrach­tung zuneh­mend bestür­zen­de­res Revers unter­schei­den. Das Avers zeigt uns die bür­ger­sin­ni­ge Grün­pflan­ze mit ihrer Daten­ban­de­ro­le. Das Revers die Ener­gie zu- oder abfüh­ren­de elek­tri­sche Maschi­ne, die als­bald als Bom­be erkannt, dem Magen ver­hal­te­ne Panik­krämp­fe beschert.

Dann doch schnell zurück zum Avers. Aber oh Schreck — das Nest­wär­me­po­ten­ti­al des unschul­di­gen Gewäch­ses wird vom auf­kom­men­den Grau­en ins nichts geschrumpft, denn erst der sehr ein­ge­hen­de Augen­schein ent­deckt schliess­lich deren pla­sti­fi­zier­te Falschheit.

Was wird hier mit uns gespielt? Ist der Kunst­wer­ker in sei­ner stets ent­täusch­ten Absicht, die Welt durch Kunst irgend­wie doch viel­leicht ein klit­ze­klein wenig zu ver­bes­sern, unver­se­hens zum unbe­wuss­ten Bom­ben­ter­ro­ri­sten mutiert? Oder ist der Kunst­wer­ker ein­mal mehr ledig­lich Chro­nist der Zukunft? Einer Zukunft, der längst nicht mehr zu ent­kom­men ist und die wir uns nicht vor­zu­stel­len wagen? Oder, wenn wir uns den­noch ein Bild von ihr machen, ein ledig­lich ein­di­men­sio­nal linea­res Kon­strukt resul­tiert — ein Kon­strukt, das dem mul­ti­di­men­sio­na­len und schärf­sten expo­nen­ti­el­len Poten­zi­al des zukünf­ti­gen Schreckens nicht ein­mal ein lächer­li­ches Fei­gen­blatt abgibt und das die Mög­lich­keit einer dann­zu­mal durch Pla­sti­ker­satz sur­ro­gier­ten Mensch­heit dem Wei­ter­den­ken nicht vor­ent­hal­ten kann.

Die Hoff­nung, dass die Din­ge so sind, wie wir sie sehen, ist nicht trü­ge­risch, son­dern ganz ein­fach voll­stän­dig und auf immer und ewig ver­fehlt. Und den­noch mag nie­mand die­se seit ewi­gen Zei­ten immer wie­der als Illu­si­on ent­larv­te Idee ster­ben las­sen! Nicht nur, dass wir ganz per­sön­lich immer wie­der offe­nen, aber sinn­blin­den Auges und selbst­ver­ständ­lich von der Umge­bung aus­gie­bigst gewarnt in die­se pri­mi­tiv­ste aller Fal­len tap­pen, vor der wir nota bene unse­rer­seits war­nen, wenn nicht wir selbst das poten­zi­el­le stets kreuz­dum­me Opfer sind.

Maras stets hin­wei­sen­de und fest­stel­len­de, nie­mals aber unmit­tel­bar mora­li­sie­ren­de Kunst, ist den­noch unaus­weich­lich mora­lisch und nicht ganz ohne edu­ka­ti­ve Hoff­nung — auch wenn der Kunst­wer­ker dies natür­lich ver­neint. Maras Kunst, so bur­lesk und unsen­ti­men­tal sie in der Regel daher­kommt, ist — wie jede Kunst zu jeder Zeit — ein Bau gefro­re­ner Tränen.
Und viel­leicht sind es genau die­se gefro­re­nen Trä­nen, die mensch­li­che Exi­stenz aus­ma­chen und die­se über­haupt inso­fern ermög­li­chen, als sie letzt­lich der mög­li­chen tota­len Ver­blö­dung der Mensch­heit ent­ge­gen­ge­setzt sind.

W. Stu­der

Zur Werkseite

Besu­chen Sie die Werk­seite von Nr57 (mit  wei­te­ren Bil­dern, Werk­daten und Klassifikation)

One thought on “Gefrorene Tränen versus Verblödung

  1. ____
    Die­se letz­te Sequenz “…viel­leicht sind es genau die­se gefro­re­nen Trä­nen, die mensch­li­che Exi­stenz aus­ma­chen und die­se über­haupt inso­fern ermög­li­chen, als…” hat mich gera­de sehr berührt.
    Viel­leicht ent­steht hier irgend­wann ein Kunst­werk von Mara, in wel­chem Lie­be und Lebens­lust evo­ziert wer­den, sozu­sa­gen als Kon­tra­punkt zu den gefro­re­nen Trä­nen. Als Aus­gleich — eifach so! — bei Gele­gen­heit, auch wenns’ nix hilft im Gros­sen und Gan­zen bezie­hungs­wei­se im Klein­li­chen und Saublöden. 

    Weepe I can­not, but my heart blee­des. Shakespeare


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert