Redefreiheit
Prolog zum Werk Nr65
Redefreiheit? Frei reden? Mein Gott Walter, ich freue mich sehr, aus aktuellem Anlass den Prolog zum neuen Werk <Nr65 Schweigespirale> für einmal Dir überlassen zu dürfen. Hau ihn rein, mein Lieber!
Actio et Reactio
von Walter Studer
(stu) Der nicht einmal allen, nämlich bestenfalls einem Zehntel der Schweizer Bevölkerung namentlich bekannte Bischof von Chur, seine katholische Eminenz VITUS HUONDER hält in Fulda, der katholisch charismatischen Stadt in Deutschland, vor einem katholischen Fachpublikum einen Vortrag zum sogenannten Sakrament der Ehe. Es ist dies eines von sieben Sakramenten der katholischen Christenheit und der Begriff Sakrament ist durchaus dogmatisch, das heisst gewissermassen axiomatischer Basispartikel der Lehre und deshalb auch nicht, bzw. nicht mehr zu diskutieren — ob uns dies nun passt oder nicht ist vollständig unerheblich — und er bezeichnet prinzipiell eine mystisch-religiöse Wirklichkeit, die von der katholischen Glaubensgemeinschaft, der Ecclesia in einem definierten Ritus bekräftigt und auf diese Weise irdisch manifestiert verstanden wird. Diese eigentlich auch ausserhalb der Katholizität als poetisch und religiös und menschlich wunderschön wahrzunehmende Idee bedeutet im Bezug auf die Ehe, dass die Eheleute in Liebe zueinander und zu Gott auf ewig, das heisst auch wenn sie sich zivil scheiden liessen, verheiratet bleiben, und da — im Judentum wie auch im Christentum übernommen — eine Ehe zur Zeugung von Nachkommen, zum Erhalt der Familie also gedacht war, sie somit keineswegs homosexuell unfruchtbar, sondern unbedingt heterosexuell, hoffentlich fruchtbar institutionalisiert wurde, kann aus dieser katholischen Logik das Sakrament, das HEILTUM der Ehe und der diesem unbedingt zugehörige SEGEN nicht auf homosexuelle, nämlich im Sinne des Sakramentes unfruchtbare Paare übertragen werden. Diese aus der altorientalischen unbedingt dem Familienklan verbundenen Vorstellungswelt entstammende Sicht und Ehe-Idee mag uns überlebt und abstrus erscheinen, aber es ist nun mal ein Grundpfeiler der Katholischen Kirche, die jedoch seit neustem, seit Papst Franziskus nämlich, ausdrücklich die homosexuellen Menschen nicht mehr wie vordem als krank oder gar als verbrecherisch sündig diffamiert, sondern als Geschöpfe Gottes ehrt, die in gleicher Weise wie alle anderen der Gnade Gottes würdig und teilhaftig sind — was wiederum der ultramontan regressiven Theologie des Vitus Huonder zwangsläufig Widerpart bietet.
Soweit so ungut. Was aber in mehrfacher Hinsicht sehr viel widerlicher als das bischöfliche Fehlverhalten ist, sind die ominöse Vox Populi, der Mainstream und die diesem zugehörige und zutragende Mehrheitspresse, die sich in selbstbefriedigender moralischer Attitüde, aber weitgehend bar selbst basaler Kenntnisse in der katholischen Theologie und der Bibel, aber auch der Geistesgeschichte vor allem jener der Aufklärung und der Menschenrechte und überdies ohne jedes selbstkritische Mass, marktgeil aufbläht und dummdreist daherurteilt. Bezeichnend für dieses lächerliche und der Sache, der Kernfrage und deren nötige Diskussion durchwegs abträgliches unkontrolliert auswilderndes JEKAMI ist die absolute Wirkungslosigkeit einiger weniger sehr differenziert das Problem abhandelnder Artikel innerhalb der in dieser Beziehung ansonsten beschämenden Presse.
Und dann ist da noch diese notwendige Organisation der Schwulen und Lesben, wie sich die Homosexuellen mit glücklicherweise wachsendem Selbstbewusstsein selbst nennen, das international vernetzte PINK CROSS. Keine Frage, dass sich diese Körperschaft durch Vitus Huonder verletzt, diffamiert und angegriffen versteht, und dass PINK CROSS alles unternimmt, diesem Angriff entsprechend entgegenzutreten. Nur scheint mir dann doch genau diese Freiheit, für die diese Organisation einsteht, die ja gerade auch die Abweichung einer Meinung einbezieht, durch die strafrechtlich relevante Anzeige des gefühlt fehlbaren Bürgers und Bischof konterkariert, und ich frage mich, ob genau dies dem Fluidum der Absichten von PINK CROSS nicht eher Abbruch leistet als Glanz? Und insgesamt: MUSS DIESER SCHUND IM DIENSTE EINER FOLKLORE DER POLITICAL CORRECTNESS WIRKLICH MANIFEST WERDEN?!
Wie auch immer: Das physikalisch-naturwissenschaftliche Grundgesetz von ACTIO = REACTIO, das übrigens auch in esoterischer Ausprägung im Alten und Neuen Testament formuliert zu finden ist, zeigt sich auch im vorliegenden Sturm im Wasserglas als überaus zutreffend: DIE DUMMHEIT EINER HANDLUNG IST EBENSO DUMM WIE IHRE GEGENHANDLUNG.
Auch hier — wie überhaupt immer — hilft einzig und allein differenziertes Nachdenken. Schauen wir also, was uns der Kunstwerker mit dem Holzhammer vorziseliert. Er kann das nämlich!
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Gianluca
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Zunächst mal ein Kompliment an der Kunstwerker, das Werk ist so schlicht und einfach wie die Botschaft dahinter und aus meiner Sicht deshalb gelungen!
Obwohl nicht allzu sehr an Kunst interessiert und somit Gefahr zu laufen, eine “lächerliche und der Sache, der Kernfrage und deren nötige Diskussion durchwegs abträgliches unkontrolliert auswilderndes JEKAMI” zu verursachen hoffe ich das mein Kompliment trotzdem ernst genommen werden kann.
Aber nun gibt es neben der Kunst auch Themen, die alle etwas angehen, über die jeder mitreden kann und zu denen alle eine Meinung haben sollten.
Ein solches Thema ist die Frage wie wir mit Homosexualität in unserer Gesellschaft umgehen.
Selbstverständlich gibt es Menschen, die scheinbar aus reiner Profilierungssucht irgendetwas nachplappern, von dem sie mit ziemlicher Sicherheit kaum etwas verstehen, im Sinne von ” Hey, seht mich an, ich sehe das übrigens genauso wie dieser XY, folglich bin ich mindestens so intelligent, gut oder weltoffen etc.”
Aber wenn, gerade jemand wie Vitus Huonder, der zumindest in gewissen Kreisen ein Vorbild ist (bzw. sein sollte) und damit mit seinen Ansichten mehr bewegen kann als beispielsweise ich persönlich, hier auf dieser Website, dann ist es schon bedenklich, wenn Sätze wie der folgende mehr oder weniger unkommentiert so stehen gelassen werden.
“Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen.”
Aber nein, seine katholische Eminenz VITUS HUONDER, setzt sogar noch einen obendrauf und sagt etwas später: “Die beiden Stellen allein würden genügen, um der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben.” — Kein Wort darüber wie das jetzt genau mit der Aussage “beide werden mit dem Tod bestraft” verstanden werden darf/muss/sollte…
Ich bin der Meinung, dass sind Aussagen die kommentiert und verurteilt werden dürfen/müssen/sollten.
Auch von Menschen die nichts vom Katholizismus verstehen!
Das Sakrament der Ehe wird von Herrn Studer als axiomatisch dargestellt, als etwas über das man nicht diskutieren kann- als ein Thema zu dem keine Redefreiheit existiert, aber gleichzeitig nervt sich Herr Studer, offenbar über alle Masse, über die Menschen die vermeintlich dem Mainstream folgen ohne sich kritische Gedanken zum Thema gemacht zu haben.
Irgendwie schon speziell: Ein Mann der in “selbstbefriedigender moralischer Attitüde, aber weitgehend bar selbst basaler Kenntnisse von Liebesbeziehungen und Sex, aber auch der Geistesgeschichte vor allem jener der Sexualkunde und der Menschenrechte und überdies ohne jedes selbstkritische Mass, religiös aufbläht und dummdreist daherurteilt.” soll weniger widerlich sein als die “ominöse Vox Populi”?!
Das ich nicht Lache!
W. Studer
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Lieber engagierter Kommentator
Ihnen ist offenbar entgangen, wie stark ich gerade VITUS HUONDER kritisiere. Es geht mir im übrigen niemals darum die eine Fehlleistung gegen eine andere auszuspielen. Mein Ziel ist es, den Wahn hinter den Fehlleistungen jeglicher Art ungebremst den Leser und Leserinnen nahezubringen.
Ich bin aber sehr dankbar für den wie gesagt engagierten Beitrag, und ich würde mir mehr davon wünschen, ob sie kurz oder lang, ob sie hochdifferenziert oder ganz einfach, ob wahnsinnig gescheit oder ganz direkt sind, all dies ist unerheblich, solange sie im Rahmen des grundsätzlichen menschlichen Anstandes ausformuliert daherkommen.
Nicht zuletzt geht es dem Kunstwerker und mir mit unseren Beiträgen in “kunst und wach” darum, dass die Besucher und Besucherinnen sich mit den Themen befassen. Schön also, wenn eine Antwort kommt!
W. Studer
Gianluca
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Lieber Herr Studer
Es freut mich das Sie meinen Kommentar zu schätzen wissen. Es ist mir deshalb ebenfalls ein Anliegen zu betonen, dass ich grundsätzlich gleicher Meinung bin wie Sie in Ihrem Prolog.
Mir war selbstverständlich bewusst, dass Sie keine Lobrede auf den Herrn Bischof halten, aber ich hätte mir eine (noch) klarere Positionierung gewünscht.
Sie müssen schon zugeben, dass der erste Absatz wie eine Rechtfertigung für die Aussagen von Huonder daherkommt, auch wenn Sie damit vielleicht nur den religiösen Wahn hervorheben wollten.
Erlauben Sie mir den (etwas gewagten und möglicherweise von jugendlichem Übermut geprägten) Versuch, Vitus Huonder selber als unkritisch zu entlarven. (So wie ich es mir vielleicht insgeheim von Ihnen gewünscht hätte)
Der Bischof zitiert, ziemlich am Anfang des besagten Vortrags, in etwa folgenden Satz aus der Bibel:
“Adam und Eva haben von Gott den Auftrag die Erde zu bevölkern und sie [die Erde] sich Untertan zu machen und über die Tierwelt zu herrschen.”
Ich denke wir sind uns alle einig, das ist längst der Fall — sprich der Auftrag ist erfüllt — und zwar in einem eher ungesundem Ausmass.
Ein kritischer Denker würde vielleicht ebenfalls zu diesem Schluss kommen und in Betracht ziehen, dass unter diesen Umständen auch andere Formen der Sexualität ihre Berechtigung haben können.
Vitus Huonder zieht es jedoch vor, weiterhin den Text aus der Bibel wörtlich zu nehmen und scheut auch nicht davor zurück, sogar von Todesstrafe zu sprechen!
Man könnte auch behaupten, er sei in einer christlich katholischen Schweigespirale gefangen.
Natürlich muss ich an dieser Stelle relativieren und sagen, dass auch ich kein Experte in Sachen Religion bin und solche Behauptungen lieber den theologisch sattelfesteren überlassen sollte.
Trotzdem ist es sogar für mich als Laie nicht sonderlich schwer eine gewisse Schwachstelle in der biblischen Überlieferung zu finden wie sie von Huonder vertreten wird.
Ich weiss es ist teilweise schier unerträglich, was gewisse Leute für Stuss von sich geben, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben wovon sie eigentlich sprechen!
Trotzdem bin ich sehr froh, dass wir diese Möglichkeit überhaupt haben und das wir mit unserem Müll soviel mehr erreichen können, als Anno dazumal, als es gerade die Priester, Bischöfe und der Papst waren die einem sagten wie die Dinge zu laufen haben.
Sind Sie nicht auch glücklich über die Tatsache, dass Sie eine Ausbildung genossen haben, die es Ihnen erlaubt kritisch zu denken und für sich selber zu entscheiden ob sie eine Meinung vertreten oder nicht?
Ich denke insgesamt überwiegen die daraus resultierenden Vorteile gegenüber dem vielen Mist den wir uns deshalb anhören müssen.
Gut möglich, dass wir als Gesellschaft noch enorm viel lernen müssen über die Art und Weise wie wir unsere Meinung kundtun, innerhalb der Möglichkeiten die sich uns dafür bieten!
Vielleicht sollten Sie versuchen die Dinge mal aus der Perspektive ihrer eigenen Jugend zu betrachten und mit etwas gedanklicher Verspieltheit werden Sie möglicherweise feststellen, dass auch Sie damals Veränderungen in der Gesellschaft miterlebt und überlebt haben. ;)
mara
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Lieber Gianluca
Herzlichen Dank für Dein Kompliment, welches — gerade auch wenn Du nicht allzu sehr an Kunst interessiert bist ‑selbstverständlich gerne “ernst genommen” wird, genauso wie Deine engagierten Ausführungen zur Frage des Umgangs mit Homosexualität in unserer Gesellschaft. Tatsächlich wird Bischof Vitus Huonder mehr Einfluss haben als Du, aber unterschätze nicht, wie viele Besucher Du persönlich mit Deinen Ansichten auf dieser Website erreichst:
https://www.wachsdum.ch, Zeitraum 12/08/2015 — 12/11/2015:
Besuchergesamtzahl 14’913.00, Gesamtzahl der Seitenansichten 165’929.00, Durchschnittliche Besucher pro Tag 160.35, Durchschnittliche Seitenansichten pro Besucher 11.13, Durchschnittliche Besuchsdauer 00:13:38
Liebe Grüsse auch an die Familie
Marcel
Marco S
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Hoch loben wir die Freiheit. Die Freiheit der Presse, der Meinung, des Glaubens, der Lebensweise. Doch niemand scheint zu merken, dass wir sie uns selbst am meisten beschneiden. Immerneue Gesetze um jegliche 0.01% Eventualitäten und Risiken abzusichern. Moralische Höchstleistungen der Presse in Fällen wie dem von W. Studer beschrieben, Gerry Müller, Zuger Sexskandal oder damals der Fall Carlos. Die fortwährenden Schuldzuweisungen — denn immer braucht es einen Schuldigen. Geschieht ein Mord dann ist der Schuldige vielleicht der provozierende Partner, die böswilligen Behörden der KESB oder ein Psychiater mit seinem nachträglich als falsch erkannten Gutachten. Weil jemand muss ja Schuld daran sein was dieser Mensch getan hat. Im Laufe all dieser Diskussionen und Medienprozesse ist jeder zu Hause selbst der grösste Profi und weiss warum was wie geschah und was nun zu tun ist. Wir nehmen unser Urteilsvermögen und Anspruchsverhalten selbst als zu wichtig und fordern postwendend Veränderungen.
Wo ist der Platz für grosse Redner, Vordenker, Philosophen in der heutigen Zeit? Es gibt sie vielleicht. Doch haben wir die Kunst des Zuhörens verlernt, schwingen lieber selbst die Keule — und hauen alles und jeden in die Pfanne! Heute so, morgen so. Ohne Weitsicht und Klarheit.
Marco
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Vielen Dank für die ” sonntägliche” Bereicherung mit dem neusten Werk der Schweigespirale.
Wieder einmal treffend auf den Punkt gebracht, zeigt es auch auf, wie schwierig es geworden ist, heute eine Rede zu halten oder einen Bericht in den Medien zu verfassen. Auch gerade die Presse und Medien, welche ja so auch immer auf ihre “Freiheit” beharren, spielen nicht immer eine löbliche Rolle zur Redefreiheit von “Andersdenkenden”, sie sollten sich diesen Beitrag zur Lektüre nehmen und ggf. ein solches, gelungenes Kunstwerk Nr65 in den Eingang stellen.
Sicher hat, durch die Möglichkeit der (vor-)schnellen Stellungnahmen und Verbreitung von Kommentaren durch das Internet etc, die Verunglimpfung von “freien Rednern” zugenommen.
Freue mich schon auf das nächste Werk !
Ruth Kägi
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Das neue Werk gefällt mir sehr! Die MARA’sche künstlerische Umsetzung der “Schweigespirale” führt sinnigerweise von der weiträumigen Offenheit über viele Stacheln in die Enge der Fixation… Vom offenen Reden über verletzende Spitzen ins ängstliche Schweigen. Schade, dass es in der Lebenswirklichkeit nicht umgekehrt ist. Zudem ein wunderschöner und treffender Werkkommentar ebenso wie ein differenzierter Prolog über die Causa Vitus Huonder von W. Studer. Sowas habe ich in der hektischen Presselandschaft vermisst…