Hinführung und Anleitung zum Werk und Werken des Kunstwerkers
Was sehen wir eigentlich beim Sehen? Ist es wirklich das Objekt des Sehvorganges? Beziehungsweise ist das Objekt eventuell nur ein vermeintliches — sehen wir also gar nicht das Objekt selbst, sondern lediglich ein im Sehvorgang sich auf unbestimmbare Anregung buchstäblich augenblicklich erarbeitendes Scheinbild einer uns somit ewig und geistig buchstäblich unfasslichen Wirklichkeit? Geniessen wir möglicherweise nur den Sehvorgang oder überhaupt nur die menschliche Idee des Sehvorganges? Denn wie erwähnt, die Wirklichkeit auch diesen Objektes, des Sehvorganges, bliebe uns unbegreiflich — und damit zwangsläufig dessen gesamtanthropologisch gemeinschaftlich vorkodierten Bilderschatz?
Nein, nein und nochmals nein! Natürlich nicht! Sagen wir und lachen uns Sicherheit zu. Oder lachen wir allenfalls doch viel zu früh? Denn wie auch immer, näher und länger darüber nachgedacht oder besser nachgesonnen, zerbröselt dem Bewusstsein das Bollwerk der Selbstverständlichkeit — wenigstens insofern, als sich unsere Sicherheit darüber in eine graduelle stetige Ungewissheit verwandelt. Und dies ist ganz und gar kein Unglück! Im Gegenteil! Denn unzweifelhaft ist die Unsicherheit die einzige Sicherheit in unserem Dasein.
Nicht unbegründet also haben sich die klügsten Köpfe, ob bekannte oder unbekannte — wie vielleicht gerade sie, die sie das hier alles lesen — um die Lösung dieser Rätsel bemüht — selbstverständlich ohne je wirklich endgültig taugliche Lösungen zu finden, oder nur schon im Vorfeld überhaupt eine Vorstellung der unabdingbaren Qualitäten einer tauglichen Lösung definieren zu können. Und hoffen sie nicht auf die Gegenwart mit ihrer ja wirklich stupenden Wissenschaft, der Hirnforschung vorab, denen durchaus Lob und Bewunderung gebührt. Aber es gilt halt eben: DAS WISSEN VON HEUTE, IST DER IRRTUM VON MORGEN. Und überhaupt ist ohnehin alles Sicht‑, Fühl‑, Denk- und nicht zuletzt Machbare nichts anderes als ein ACHEIROPOIETA, ein nicht von Menschenhand gemachtes Bild nämlich. Denn Menschenwerk ist im Menschen angelegt und der Mensch selbst ist wiederum nicht Menschenwerk.
Und nachdem sie sich in diesem Sinne ihr eigenes Sein zu Gemüte geführt, sich sicherheitshalber in den Arm gekniffen haben und bevor sie zum DOKETISMUS konvertieren und also den Kosmos und sich selbst als puren Schein, als mehr oder weniger übles Blendwerk beargwöhnen und bevor sie schliesslich gänzlich wahnsinnig geworden sind, schauen sie sich doch einfach mal die Werke des Kunstwerkers genauer an!
W. Studer, Kunsthistoriker